Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
gehen, wenn es mich gibt.«
»Wieso nicht?«
»Sie sind Katholik, oder?«
»Selbstverständlich. Was dachten denn Sie? Finden Sie, ich sähe aus wie ein Calvinist?«
»Aber leben Sie denn nicht in der Todsünde? Und was ist, wenn Sie zur Beichte gehen?«
»On ne précise pas«, meinte Fabrice unbekümmert, »überhaupt sind diese kleinen Sünden des Fleisches ganz unwichtig.«
Linda wäre im Leben von Fabrice gern mehr gewesen als eine kleine Sünde des Fleisches, aber sie hatte sich daran gewöhnt, in ihrem Verhältnis zu ihm auf solche verschlossenen Türen zu stoßen, sie hatte gelernt, ihren Gleichmut zu bewahren und dankbar zu sein für das Glück, das ihr wirklich zuteil wurde.
»In England«, so erzählte sie, »müssen die Leute einander entsagen, wenn einer von beiden katholisch ist. Manchmal ist das sehr traurig für sie. Viele englische Bücher handeln davon.«
»Les Anglais sont des insensés, je l’ai toujours dit. Das klingt ja fast, als wollten Sie, dass ich Sie aufgebe. Was ist denn seit Samstag geschehen? Der militärische Hilfsdienst wird Ihnen doch hoffentlich nicht zu viel?«
»Nein, nein, Fabrice. Ich habe mich nur gewundert, sonst nichts.«
»Aber Sie sehen so traurig aus, ma chérie, was ist los?«
»Ich dachte an den Weihnachtstag daheim. An Weihnachten werde ich immer sentimental.«
»Wenn eintritt, was eintreten könnte, wenn ich Sie nach England schicken muss, würden Sie dann zu Ihrem Vater zurückkehren?«
»O nein«, sagte Linda, »aber dazu wird es gar nicht kommen. Alle englischen Zeitungen schreiben, mit unserer Blockade würden wir den Deutschen den Garaus machen.«
»Le blocus«, meinte Fabrice ungeduldig, »quelle blague! Je vais vous dire, madame, ils ne se fichent pas mal de vôtre blocus . Wo würden Sie denn wohnen?«
»In meinem Haus in Chelsea und dort auf Sie warten.«
»Es könnte Monate dauern oder Jahre.«
»Ich werde warten«, sagte sie.
Der leere Raum zwischen den kahlen Zweigen der Bäume begann sich wieder zu füllen, erst färbten sie sich rötlich und gingen dann in Goldgrün über. Oft war der Himmel blau, und an manchen Tagen konnte Linda wieder die Fenster öffnen und nackt in der Sonne liegen, deren Strahlen schon eine gewisse Kraft besaßen. Sie hatte den Frühling immer geliebt, die plötzlichen Temperaturwechsel, die kurzen Sprünge zurück in den Winter und vorwärts in den Sommer, und in diesem Jahr, da sie in der herrlichen Stadt Paris lebte und ihre Wahrnehmungen durch die Tiefe ihrer Gefühle noch gesteigert wurden, berührte er sie ganz besonders. Es lag jetzt eine seltsame Stimmung in der Luft, ganz anders und viel nervöser als in der Zeit vor Weihnachten, und die Stadt war voller Gerüchte. Immer wieder fiel Linda der Ausdruck »fin de siècle« ein. Es bestand eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Gemütsverfassung, die er bezeichnete, und derjenigen, die sich jetzt ausgebreitet hatte, nur dass es jetzt eher wie »fin de vie« klang. Es war, als würde jeder und auch sie selbst die letzten Lebenstage auskosten, aber dieses seltsame Gefühl beunruhigte sie nicht, ein gelassener, heiterer Fatalismus hatte sie ergriffen. Die Zeit des Wartens zwischen den Besuchen von Fabrice vertrieb sie sich mit Sonnenbädern, wenn die Sonne da war, oder sie spielte mit ihrem jungen Hund. Auf Fabrices Rat hin begann sie sogar, ein paar neue Kleider für den Sommer zu bestellen. In der Anschaffung neuer Kleider schien er eine der wichtigsten Pflichten der Frau zu sehen, die sie auch in Krieg und Revolution, bei Krankheit und bis zum Tod erfüllen musste. Fast so, wie wenn man sagt: »Was auch geschieht, die Felder müssen bestellt und das Vieh muss versorgt werden, das Leben geht weiter.« Fabrice war so sehr Städter, dass für ihn der langsame Wechsel der Jahreszeiten durch die frühlingshaften tailleurs, die sommerlichen imprimés, die herbstlichen ensembles und die winterlichen Pelze seiner Geliebten markiert wurde.
An einem schönen blau-weißen Apriltag geschah es dann. Fabrice, den Linda seit fast einer Woche nicht gesehen hatte, kam mit ernster, sorgenvoller Miene von der Front und erklärte ihr, sie müsse sofort nach England zurückgehen.
»Ich habe Ihnen einen Platz im Flugzeug für heute Nachmittag besorgt. Packen Sie nur einen kleinen Koffer zusammen, die übrigen Sachen werden mit dem Zug nachgeschickt. Germaine wird sich darum kümmern. Ich muss jetzt ins Ministère de la Guerre, ich komme so schnell wie möglich zurück, auf jeden
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