English Cooking
hygienischen Zustände oft berüchtigt miserabel. Die englische Küche war und ist eine häusliche Küche. Es ist kein Zufall, dass die großen englischen Kochbuchautoren jahrhundertelang Frauen gewesen sind.
Später war das schimpfliche Ansehen lange Zeit jedoch mehr als gerechtfertigt. Manche sagen, es habe am Zweiten Weltkrieg gelegen. Sicherlich war Essen damals nicht nur knapp, sondern auch scheußlich, und die Rationierung der Lebensmittel dauerte unglaubliche 13 Jahre lang! Während dieser Zeit verschwanden viele traditionelle Gerichte auf Nimmerwiedersehen. Aber auch andere Länder erlebten während des Krieges schlechte Zeiten, und deren Küchen erholten sich davon wieder. In meinen Augen wurde der Schaden schon viel früher angerichtet: zunächst durch die Puritaner im 17. Jahrhundert und dann im 19. Jahrhundert durch die viktorianische Gesellschaft, die ins Bewusstsein der Nation unauslöschlich einprägte, dass »wir nicht auf dieser Erde sind, um uns zu amüsieren«. Pflicht, Stärke, Patriotismus, Dienst an der Gemeinschaft, Selbstbeherrschung – das waren ein paar der Tugenden, die damals zählten. Die Freuden des Lebens galten praktisch als Synonym für Sünde. Oder zumindest die meisten davon – Sport und Gartenarbeit waren gestattet, Sex, hübsche Kleider und erlesenes Essen eindeutig nicht.
Die sündteuren Internate der Nation bildeten eindrucksvolle Beispiele für diese Einstellung. Hierher schickte, wer es sich leisten konnte, seine Kinder, weil man glaubte, diese würdenin diesem Rahmen die bestmögliche Erziehung erhalten. Im 19. Jahrhundert ließ man die Kinder in der Überzeugung, damit etwas Gutes für ihren Charakter und ihre Disziplin zu tun, im wahrsten Sinne des Wortes halb verhungern. In ihrer Biografie der viktorianischen Romanschriftstellerin Charlotte Brontë berichtet die zeitgenössische Autorin Elizabeth Gaskell, dass Charlotte und ihre Schwestern, wenn sie um einen Nachschlag baten, Belehrungen über »die Sünde fleischlicher Dinge und des Nachgebens gegenüber gierigen Gelüsten« erhielten. Zu der Zeit, als ich selbst ein Internat besuchte, hatte man schon eingesehen, dass Kinder genug zu essen bekommen sollten, aber auf die Idee, dass wir das Essen auch genießen könnten, scheint die Schulleitung niemals gekommen zu sein. Wenigstens war es nicht so schlimm wie bei einem Freund von mir, dessen Lehrer Bratensauce über seinen Pudding goss, nur um seine Verachtung für Gaumenfreuden zum Ausdruck zu bringen.
In der Folge war das englische Essen oft geschmacklos und eintönig, das Gemüse zerkocht, der Yorkshirepudding bleischwer. »Olivenöl«, so erinnert sich Robin Young, der für die ›Times‹ über kulinarische Themen berichtet, »wurde in der Autopflege und als Abführmittel verwendet.« Die aristokratische und die reiche Elite wandte sich der französischen Cuisine zu, doch die normalen Leute – sofern sie nicht das Glück hatten zu reisen – wussten es nicht besser und bekamen auch kaum Anreize, etwas zu verändern.
Wer weiß? Vielleicht war dieses Desinteresse an gutem Essen von Vorteil für die vielen Missionare, Kaufleute, Beamten, Abenteurer, Soldaten und deren Familien, die einen großen Teil ihres Lebens in ihnen fremden, entlegenen Regionen des Empire verbrachten. Eine Dame der besseren Gesellschaft und Tante von Winston Churchill, Lady Sarah Wilson, hauste während der 217 Tage dauernden Belagerung von Mafeking im Jahre 1900 – einem berühmten Ereignis im südafrikanischen Burenkrieg – in einem Unterstand. Sie telegrafierte nach Hause (seltsamerweise konnte man die Kommunikation aufrechterhalten):»Heute Pferdewurst zum Frühstück. Zu Mittag Maultierhack und Heuschrecken-Curry. Alle wohlauf.«
Auf der anderen Seite waren die oft absurden Bemühungen der Kolonialisten, ihre eigene Küche unter einheimischen Bedingungen, mit einheimischen Produkten, einheimischen Köchen und bei einheimischen Temperaturen nachzukochen, mit großer Wahrscheinlichkeit für viele Beschwerden und sogar Todesfälle verantwortlich, die man stur »dem Klima« zuschrieb. Königin Victoria herrschte nahezu über knapp ein Viertel der weltweiten Landmasse und über ein Viertel der Weltbevölkerung, trotzdem überrascht es kaum, dass es den Engländern nie gelang, ihre Küche als Welt-Cuisine zu etablieren.
Es wird sicher lange dauern, sich von dieser geschichtlichen Hypothek zu befreien, trotz der massenhaften Auslandsreisen, trotz der
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