Engpass
schnell mal ausgeliehen hat, um rascher im Ort zu sein.
Ein leiser Nieselregen hat eingesetzt, verwandelt die Fahrbahn in eine schmierige Seifenfläche.
Annas Rad gleitet über den grauschwarzen Asphalt. Die kleinen Regenpunkte setzen sich wie Nadelstiche in ihr Gesicht und schmelzen zu einem kleinen, wässrigen See, der ein Rinnsal Richtung abwärts schickt.
»Hey, hey, du!«
Anna bremst. Das Vehikel macht einen Sprung, wie ein wildes kleines Pferd, das zugeritten wird. Anna sieht sich über den Lenker fliegen, ein rascher Ruck, ein leiser Plumps, dann liegt sie auf der Fahrbahn. Sie spürt was Nasses unterm Hintern, sieht sich um, Gott sei Dank kommt kein Auto daher, und flucht.
»Verdammte Scheiße!«
Der Pickelige läuft ihr entgegen. Den Film schwenkt er in der Linken. »I hab ihn. Breaking the was woaß i.«
»Du verdammter Idiot!«, ärgert Anna sich lautstark, steht aber auf und fasst sich an den Po.
Sie schiebt das Rad von der Fahrbahn. Inzwischen ist ein Honda angefahren gekommen und hupt, als habe Anna eine Massenkarambolage verursacht. Jetzt endlich steht der Typ aus der Videothek vor ihr, mit nassgeschwitztem oder nassgeregnetem Gesicht. Seine Pickel glänzen, als wären sie mit Vaseline eingeschmiert worden.
Anna hat fast Mitleid. Muss nicht leicht sein, wenn man so aussieht, denkt sie. Sagen tut sie nichts, greift nach dem Film, steigt wieder aufs Rad und saust davon.
»Hey, du da«, ruft der Pickelige ihr nach.
»Du lädst mich auf den Film ein, nach allem, was du verursacht hast«, ruft Anna über ihre Schulter zurück. Sie grinst in den Regen hinein, hält den Film auf die Lenkstange gedrückt und starrt immer wieder, während sie fährt, auf den Namen des Covers: Lars, Lars, Lars!
Ein unentwegtes Hüpfen schüttelt ihren Magen durch. Es gibt nichts Schöneres als den Namen Lars. Gleich wird sie ihn anrufen.
Degenwald, inzwischen durchnässt, hält Elsa auffordernd den Arm hin. Scheint eine Macke zu sein, überlegt Elsa. Sie sieht Degenwald an, als mache er ihr ein unmoralisches Angebot. Versteht nicht, was er von ihr will.
»Ihre Jacke«, sagt Degenwald eindringlich.
»Ach so.« Elsa zieht sich den pitschnassen Stoff vom Körper und hält ihn ihm hin. »Was sagen Sie andauernd zu mir? Land, Land, wir sind hier auf dem Land. Und wo, bitte schön, sind die Parkplätze?« Elsa blickt auf den vollgestellten Parkplatz hinunter, dann zu Degenwald.
Der hängt Elsas Jacke an die Garderobe, stellt den Abfalleimer darunter, der das Wasser auffangen soll, und setzt sich hinter seinen Schreibtisch. »Der Guggenbichler Sepp hat Geburtstag. 65 wird er. Da steht hier nun mal das ein oder andere Auto herum. Man feiert gern. Verständlicherweise. Und man hält zusammen.«
Elsa hat sich Degenwald gegenüber gesetzt.
»Die Leute hier reden nicht gern, sie erzählen nur. Sie teilen sich nicht mit, sie plaudern.«
»Was glauben Sie, wie’s in Köln zugegangen ist? Großstadt, ja das schon, Menschen allerdings sind überall gesprächig, wenn sie wollen, und verschwiegen, wenn’s ihnen an den Kragen geht. Ich hab in Köln so viele Schweigsame erlebt, dass ich an manchen Tagen gedacht hab, ich zahl was, wenn nur jemand endlich den Mund aufmacht.«
Degenwald grinst. »Na ja, mich müssen Sie fürs Reden zumindest nicht bezahlen. Und deswegen, kommen Sie mal mit.« Degenwald geht durch ein leer geräumtes Zimmer, in dem ein abgewohnter Schreibtisch steht, in einen kleineren Raum, der alles aufzuweisen hat, was man zum Arbeiten braucht. Einen schlichten Schreibtisch mit PC, Drucker, Scanner, eine Telefonanlage, einen ergonomisch geformten Bürostuhl, zwei Besuchersessel aus Lederimitat. Degenwald deutet darauf und zuckt mit den Achseln. »Mehr war nicht drin.« An der Wand zwei Drucke bayerischer Landschaften und eine Deutschlandkarte. Gegenüber ein zweitüriger Aktenschrank.
Elsa setzt sich zur Probe in ihren neuen Sessel, dreht sich hin und her, nimmt den Hörer vom Apparat und spricht einen Satz hinein. Dann nickt sie. »Für den Anfang … geht es«, meint sie verhalten.
Degenwalds Haltung wird steif. »Sicher«, sagt er. »Sie sind Besseres gewöhnt.«
Bevor Elsa zu einer Erklärung ansetzen kann, ist er verschwunden, schließt die Tür des leer geräumten Zimmers, das wie eine Sicherheitszone zwischen ihnen liegt.
Elsa steht auf, sieht aus dem Fenster in das ewig gleichbleibende Nieseln draußen, lehnt den Kopf gegen das schmutzige Fenster. Müde und abgespannt fühlt sie sich, und
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