Engpass
Maihauser, 120 Kilo, wahrscheinlich mehr. Der hat doch alles gebaut, was hier steht oder zusammengebrochen ist.« Der Schinken scheint Hörnchen zu schmecken. Er stopft sich ein neues Stück in den Mund. »War vor deiner Zeit hier bei uns. Silke Maihauser, eine schöne Frau, eine wunderschöne Frau, wenn du mich fragst. Eine richtige Erscheinung. ›Rasseweib‹ ist der richtige Ausdruck für solche Frauen. Es gab keinen, der nicht scharf auf sie war. Aber Maihauser wachte ja wie ein Schießhund über sie. Als wäre sie seine Sklavin. Ich hab mich immer gefragt, warum sie das mitmacht. Die hätte doch jeden haben können.«
Degenwald nickt, während Hörnchen sich abwechselnd in Rage redet und den Schinken auf seinem Teller malträtiert.
»War plötzlich verschwunden, von einem Tag auf den anderen. Silke Maihauser, meine ich. Ein brisanter Fall damals, so ungefähr vor 20, 22 Jahren oder so. Könnte hinkommen.« Hörnchen versucht es mit den Gurken. Sein Gesicht ist inzwischen rot angelaufen. Schweißperlen haben sich am Haaransatz gebildet. Der Rauch hat sein Gesicht in einen sanften Zigarettennebel gehüllt.
»Man müsste das mal wieder aufrollen. Vielleicht ist sie unsere Leiche.«
»Das lässt sich dann ja feststellen, Hörnchen, oder?«, wirft Degenwald ein. Sein Blick ist skeptisch. »Aber damit rechnen können wir nicht. Wäre ja auch zu einfach, oder?«
Hörnchen nickt. »Ich mach mich gleich morgen an die Sache. Oft sind die alten unaufgeklärten Fälle mit heutigen Möglichkeiten im Nu gelöst.«
Degenwald ist schweigsam geworden. Sein Bierglas steht leer vor ihm. Plötzlich steht er auf und klopft dem Gerichtsmediziner auf die Schulter. »Ich muss noch was erledigen. Wir sehen uns morgen.«
Hörnchen schaut auf seine Armbanduhr. »Bist du verrückt geworden? Um die Uhrzeit? Hast du nichts Besseres zu tun, als was zu erledigen? Oder hängt es mit einem Weibsbild zusammen?«
Degenwald geht zur Tür. Der Wirt nickt ihm zu. Durch die helle Holztür mit den altmodischen Glasornamenten verschwindet er nach draußen.
Vorm Feuer sitzen sie. Holzscheite, alte zusammengeknüllte Zeitungen, Zünder, alles liegt um sie herum verstreut auf dem Boden. Anna hat immer noch nicht gesprochen. Aber ein Wort steht ihr ins Gesicht geschrieben: Lars, und gleich daneben ein riesiges Fragezeichen.
Elsa hat sich in eine Decke gehüllt, die sie heute auf dem Nachhauseweg in einem kleinen Laden viel zu teuer erstanden hat. Kaschmir, mit heller Seide eingefasst. Sie hatte plötzlich das Bedürfnis verspürt, sich etwas Gutes zu tun. Zu Hause in Köln lagen drei von diesen Exemplaren im Schlafzimmerschrank. In Köln gab es überhaupt alles im Überfluss. Geld hatte nie eine Rolle gespielt. Elsa seufzt. Plötzlich ist ihr heiß. Der Kamin hat zu qualmen angefangen.
»Ist der Abzug okay?«, rührt sich Anna endlich. Ihre Stimme klingt verschnupft.
Elsa sieht nach. »Willst du mir nicht endlich sagen, was los ist?«, versucht sie behutsam, etwas aus ihrer Tochter, diesem verwundeten Tier, herauszubekommen.
Anna schüttelt mürrisch den Kopf. »Davon verstehst du nichts.«
Elsa zieht die Hand, die sie auf Annas Oberarm gelegt hat, zurück. Sicher hat Anna recht. Sie verstand nichts von der Liebe.
Woher die Akten kommen, weiß sie nicht. Degenwald, den sie hätte fragen können, ist noch nicht da. Elsa setzt sich in ihr leeres, unbenutztes Büro. Nur die drei Akten, die sie überraschenderweise im Schrank fand, als sie ihn, mehr zum Spaß, öffnete, ließen auf Arbeit schließen. Auf dem Rücken steht: ›Maihauser‹.
Vorerst begnügt Elsa sich damit, die Ordner auf ihren Schreibtisch zu legen und das Fenster zu öffnen. Die Luft im Büro ist stickig. Unten sieht sie einen Audi einparken. Der grünmetallic lackierte Wagen schießt rückwärts in die Lücke. Die Fahrertür wird schwungvoll geöffnet. Degenwald steigt aus und wirft einen automatisierten Blick nach oben, Richtung Fenster.
Elsa weicht zurück. Sie will nicht als Voyeurin erscheinen, die an allem, was sie nichts angeht, interessiert ist.
Sie spürt, wie ihr Herz klopft. Sie fühlt sich ertappt und hat doch nichts verbrochen. Seit der Trennung von Hartmut bringt sie alles Mögliche aus der Ruhe.
Plötzlich fällt ihr jener Tag ein, der alles veränderte. Sie hatte einen schwierigen Fall gelöst, der nun zu den Akten gelegt werden konnte. Bestens gelaunt war sie gewesen. Kollegen hatten sie zum Feiern in einer Kölner Kneipe überreden wollen, doch
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