Enigma
eine schwere Tweedjacke und einen dicken Pullover eingetauscht. Ihre braunen Cordhosen steckten in grauen Wollsocken, und ihre kräftigen Stiefel waren dermaßen mit Schlamm verkrustet, daß sie so groß wirkten wie die Hufe eines Ackergauls. Sie verstaute ihre riesige Handtasche auf dem Rücksitz des Austin, ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder und stieß einen langen Seufzer der Erleichterung aus.
»Gott sei Dank. Ich fürchtete schon, ich würde Sie nicht finden.«
Er beugte sich hinüber und machte sehr leise die Tür zu.
»Wie viele sind es?«
»Sechs. Zwei in den Feldern gegenüber. Zwei gehen im Dorf von Haus zu Haus. Zwei in meinem Häuschen - einer oben, der in Claires Schlafzimmer nach Fingerabdrücken sucht, und eine Polizistin unten. Ich habe ihr gesagt, daß ich wegginge. Sie hat versucht, mich zurückzuhalten, aber ich habe ihr erklärt, daß es mein einziger freier Tag in der Woche sei und ich tun könnte, was ich wollte. Ich bin durch die Hintertür hinausgegangen und habe mich zur Straße geschlichen.«
»Hat Sie jemand gesehen?«
»Ich glaube nicht.« Sie blies Wärme in ihre Hände und rieb sie gegeneinander. »Sie sollten losfahren, Mister Jericho. Und zwar nicht zurück nach Bletchley. Ich habe gehört; wie sie sagten, daß sie alle Wagen anhalten würden, die auf der Hauptstraße stadtauswärts fahren.«
Sie rutschte tiefer in den Sitz, so daß sie von außen unsichtbar war, sofern nicht jemand direkt ans Fenster trat. Jericho schaltete den Motor ein, und der Austin setzte sich in Bewegung. Wenn sie schon nicht nach Bletchley zurückkonnten, dachte er, dann blieb ihm nichts anderes übrig, als einfach weiterzufahren.
Sie bogen um die Kurve, und die Straße war frei. Auch auf der Abzweigung zu ihrem Haus auf der linken Seite war niemand zu sehen, aber als sie sie erreicht hatten, trat plötzlich ein Polizist aus der gegenüberliegenden Hecke hervor und hob die Hand. Jericho zögerte, dann gab er Gas. Der Polizist sprang zur Seite, und Jericho hatte einen flüchtigen Eindruck von einem geröteten Gesicht. Sie rollten in die Senke hinein und wieder heraus, dann fuhren sie durch das Dorf. Ein weiterer Polizist sprach gerade mit einer Frau, die vor der Tür ihres reetgedeckten Hauses stand, und er drehte sich um und starrte auf das Auto. Jericho trat abermals aufs Gaspedal, und bald lag das Dorf hinter ihnen, und die Straße wand sich korkenzieherartig in eine weitere, mit Büschen bestandene Senke. Sie erreichten Shenley Church End, passierten den White Hart Inn, wo Jericho früher gewohnt hatte, und dann eine Kirche, und unmittelbar danach mußten sie anhalten, weil sie die Kreuzung mit der A 5 erreicht hatten.
Jericho schaute in den Spiegel, um sich zu vergewissern, daß niemand hinter ihnen her war. Die Lage schien ihm sicher. Er sagte zu Hester: »Sie können jetzt hochkommen.« Er war in einer merkwürdigen Verfassung und konnte selbst nicht glauben, was er tat. Er wartete, bis ein paar Laster vorbeigefahren waren, klappte den Winker aus und bog nach links auf die alte Römerstraße ab. Sie erstreckte sich schnurgerade in Richtung Nordwesten, so weit sie sehen konnten. Jericho schaltete einen Gang höher, der Austin gewann an Tempo, und sie hatten freie Fahrt.
Das Kriegsengland tat sich vor ihnen auf - immer noch dasselbe Land, aber auf sonderbare Weise verändert: ein bißchen verschmutzt, ein bißchen ramponiert, wie ein schöner Landsitz, der schnell dem Verfall entgegengeht, oder eine vornehme alte Dame, die ihr Vermögen verloren hat.
Sie stießen nicht auf irgendwelche Bombenschäden, bis sie den Stadtrand von Rugby erreicht hatten - wo sich etwas, das aus der Ferne aussah wie die Ruine einer Abtei, als die dachlose Hülse einer Fabrik entpuppte. Die Verheerungen des Krieges waren überall. Zäune am Straßenrand, seit drei Jahren nicht mehr repariert, standen schief oder waren umgekippt. Von den herrlichen Parks waren die Tore und Einfriedungen verschwunden - eingeschmolzen für Munition. Die Häuser wirkten schäbig. Seit 1940 war nichts mehr gestrichen worden. Zerbrochene Fensterscheiben waren mit Brettern vernagelt, Eisenwerk war verrostet oder mit Teer überstrichen. Sogar die Aushängeschilder der Gasthäuser waren verblichen, und die Farbe blätterte ab. Das Land war heruntergekommen.
Und auch wir, dachte Jericho, als sie an einer geduckten Gestalt vorüberfuhren, die am Straßenrand entlangtrabte, sehen nicht auch wir von Jahr zu Jahr schlimmer aus? 1940 hatte es
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