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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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natürlich kenne ich ihn.«
    »Kriegsnachrichten für Seefahrer«, sagte Jericho, vielleicht eine Spur zu schnell. »Sie sagten, Sie hätten vielleicht etwas für mich.«
    Weitzman zögerte einen Augenblick, und Jericho dachte, er täte das absichtlich, aber dann sagte der alte Mann langsam: »Ja, ich glaube, damit kann ich Ihnen dienen.« Er rutschte vorsichtig von seinem Hocker herunter. »Haben Sie ein Problem, Oberst?«
    Der Oberst schob sein Kinn vor. »Das habe ich in der Tat, Weitzman. ›Kommunikation zwischen den Baracken, sofern nicht ausdrücklich genehmigt, darf nur telefonisch oder durch schriftliche Aktennotizen stattfinden.‹ Standardverordnung.« Er funkelte Weitzman an, und Weitzman hielt seinem Blick mit ausgesuchter Höflichkeit stand. Die Aggressivität leuchtete dem Oberst aus den Augen. »Also gut«, murmelte er. »Ja. Denken Sie in Zukunft daran.«
    »Arschloch«, zischte Weitzman, als der Oberst ihnen den Rücken zugedreht hatte. »Und Sie kommen lieber mit hier herüber.«
    Er führte Jericho zu einem Karteischrank, öffnete eine Schublade und blätterte in ihr herum. Jedesmal, wenn die Übersetzer auf einen Begriff stießen, den sie nicht verstanden, konsultierten sie Weitzman und seine berühmte Kartei. Er war Philologe in Heidelberg gewesen, bis die Nazis ihn zur Emigration gezwungen hatten. Das Außenministerium hatte ihn 1940, einer selten guten Eingebung folgend, nach Bletchley beordert. Es gab nur sehr wenige Ausdrücke, bei denen er passen mußte.
    »›Kriegsnachrichten für Seefahrer‹. Erstmals aufgefangen und katalogisiert am 9. November vorigen Jahres. Das ist Ihnen ja bereits bekannt.« Er hielt die Karteikarte dicht vor seine Nase und betrachtete sie durch seine dicken Brillengläser.
    »Sagen Sie, schaut der gute Oberst immer noch her?«
    »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht.« Der Oberst hatte sich niedergebeugt, um etwas zu lesen, das einer der Übersetzer geschrieben hatte, richtete den Blick aber zwischendurch immer wieder auf Jericho und Weitzman. »Ist er immer so?«
    »Unser Oberst Coker? Ja, aber heute ist er aus irgendeinem Grund besonders schlimm.« Weitzman sprach leise, ohne Jericho anzusehen. Er zog eine weitere Schublade auf und holte, scheinbar völlig versunken, eine Karte heraus. »Ich schlage vor, wir bleiben hier, bis er den Raum verlassen hat. Also, hier ist ein U-Boot-Ausdruck, den wir im Januar aufgefangen haben. ›Fluchttiefe‹.«
    »Fluchttiefe«, wiederholte Jericho. Er konnte dieses Spiel stundenlang spielen. Es gab massenhaft solche Wörter, etwa Vorhalterechner, kalte Lötstellen, Stirnwandrisse…
    Jericho riskierte einen weiteren Blick auf den Oberst. »Er geht zur Tür hinaus. Jetzt. Alles in Ordnung. Er ist fort.«
    Weitzman betrachtete einen Moment die Karte, dann sortierte er sie wieder ein und schloß die Schublade. »Also. Weshalb stellen Sie mir Fragen, auf die Sie die Antworten bereits kennen?« Sein Haar war weiß, seine kleinen Augen waren von einer vorspringenden Stirn überschattet. Die Falten um die Augenwinkel deuteten darauf hin, daß er sein Gesicht einst bereitwillig zum Lachen verzogen hatte, dies aber jetzt nicht mehr häufig tat. Wie es hieß, hatte er den größten Teil seiner Angehörigen in Deutschland zurücklassen müssen.
    »Ich suche eine Frau namens Claire Romilly. Kennen Sie sie?«
    »Natürlich. Die hübsche Claire. Jeder kennt sie.«
    »Wo arbeitet sie?«
    »Hier.«
    »Das weiß ich. Aber wo?«
    »›Kommunikation zwischen den Baracken, sofern nicht ausdrücklich genehmigt, darf nur telefonisch oder durch schriftliche Aktennotizen stattfinden. Standardverordnung.‹« Weitzman schlug die Hacken zusammen.
    »Scheiß auf die Standardverordnung.«
    Einer der Übersetzer drehte sich gereizt um. »Hört mal, ihr beiden, geht´s nicht ein bißchen leiser?«
    »Entschuldigung.« Weitzman ergriff Jerichos Arm und ging mit ihm ein Stück weiter. »Wissen Sie, Tom«, flüsterte er, »ich kenne Sie jetzt seit drei Jahren, und das ist das erstemal, daß ich einen Kraftausdruck von Ihnen gehört habe.«
    »Walter, bitte. Es ist wichtig.«
    »Und es kann nicht bis Schichtende warten?« Er sah Jericho eindringlich an. »Offensichtlich nicht. Also gut. Wohin ist Coker gegangen?«
    »In Richtung Ausgang.«
    »Gut. Kommen Sie mit.«
    Weitzman führte Jericho fast bis ans entgegengesetzte Ende der Baracke, an den Übersetzern vorbei, durch zwei lange, schmale Räume hindurch, in denen Dutzende von Frauen an zwei riesigen Karteien

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