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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Monk errötete abermals. »Bitte, entschuldigen Sie, Walter«, sagte sie. »Natürlich wollte ich damit nicht andeuten…«
    Jericho fiel ihr ins Wort: »Darf ich Sie etwas fragen? Hat sie das schon öfter getan? Ich meine, nicht zur Arbeit zu kommen, ohne Sie zu benachrichtigen?«
    »O nein. Noch nie. Bummelei lasse ich in meiner Abteilung nicht zu. Das kann Doktor Weitzman Ihnen bestätigen.«
    »So ist es«, sagte Weitzman ernst. »Hier gibt es keine Bummelei.«
    Miss Monk gehörte zu einem Typus, den Jericho im Laufe der letzten drei Jahre gründlich kennengelernt hatte: leicht hysterisch in kritischen Momenten; eifrig bedacht auf ihre kostbare Position und die Zulage von 50 Pfund pro Jahr; überzeugt, daß der Krieg verlorenginge, wenn ihrer winzigen Domäne ein Bündel Bleistifte oder eine zusätzliche Schreibkraft verweigert wurde. Vermutlich haßte sie Claire, dachte er, haßte sie wegen ihres guten Aussehens und ihres Selbstbewußtseins und ihrer Weigerung, irgend etwas ernst zu nehmen.
    »Sie hat sich nicht irgendwie merkwürdig verhalten?«
    »Wir haben hier wichtige Arbeit zu leisten. Für merkwürdiges Verhalten haben wir keine Zeit.«
    »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
    »Das muß am Freitag gewesen sein.« Miss Monk war offenbar stolz auf ihr gutes Gedächtnis. »Sie kam um vier zum Dienst und ist um Mitternacht gegangen. Gestern hatte sie ihren freien Tag.«
    »Also ist es ziemlich unwahrscheinlich, daß sie am frühen Samstagmorgen in die Baracke zurückgekommen ist?«
    »Ja. Ich war hier. Außerdem, weshalb hätte sie das tun sollen? Sie konnte es gewöhnlich kaum abwarten, hier herauszukommen.«
    Das kann ich mir vorstellen. Er warf abermals einen Blick auf die Mädchen hinter Miss Monk. Was in aller Welt taten sie? Jede hatte einen Haufen Büroklammern vor sich, einen Leimtopf, einen Stapel brauner Aktendeckel und einen Wirrwarr aus Gummibändern. Sie schienen - konnte das stimmen? - aus alten Akten neue zusammenzustellen. Er versuchte, sich Claire hier vorzustellen. In diesem schäbigen Raum, zwischen diesen braven Arbeitstieren. Es war ungefähr so, als stellte man sich einen Papagei in einem Käfig voller Spatzen vor. Er wußte nicht recht, was er nun tun sollte. Er holte seine Taschenuhr hervor und klappte den Deckel auf. Fünf Minuten nach halb neun. Sie war seit mehr als einer halben Stunde überfällig.
    »Was werden Sie jetzt unternehmen?«
    »In Anbetracht der Geheimhaltungsstufe müssen wir uns an bestimmte Regeln halten. Ich habe bereits die Personalabteilung informiert. Man wird jemanden in ihr Zimmer schicken, der sie aus dem Bett holt.«
    »Und wenn sie nicht da ist?«
    »Dann wird man sich mit ihrer Familie in Verbindung setzen und fragen, ob jemand weiß, wo sie steckt.«
    »Und wenn es niemand weiß?«
    »Nun, dann ist die Sache ernst. Aber soweit kommt es nie.« Miss Monk zog ihre Jacke straff über ihre Hühnerbrust und verschränkte die Arme. »Ich bin sicher, daß hinter alledem ein Mann steckt.« Sie schauderte. »Das ist gewöhnlich der Fall.«
    Weitzman warf Jericho flehende Blicke zu. Er berührte seinen Arm. »Wir sollten jetzt verschwinden, Tom.«
    »Haben Sie die Adresse ihrer Familie? Oder eine Telefonnummer?«
    »Ja, ich glaube schon, aber ich bin nicht sicher, ob ich…« Sie sah Weitzman an, der einen Augenblick zögerte, einen weiteren Blick auf Jericho warf, sich dann zu einem Lächeln zwang und nickte.
    »Ich kann mich für ihn verbürgen.«
    »Nun ja«, sagte Miss Monk zweifelnd, »wenn Sie meinen, es wäre statthaft…« Sie ging zu einem Aktenschrank neben ihrem Schreibtisch und schloß ihn auf.
    »Dafür wird Coker mich umbringen«, flüsterte Weitzman, während sie ihnen den Rücken zuwandte.
    »Er wird es nie erfahren. Das verspreche ich Ihnen.«
    »Das Merkwürdige ist«, sagte Miss Monk, fast zu sich selbst, »daß sie in letzter Zeit tatsächlich viel aufmerksamer war. So, hier ist ihre Karte…«
    Nächster Verwandter: Edward Romilly.
    Verwandtschaftsgrad: Vater.
    Adresse: 27 Stanhope Gardens, London SW
    Telefon: Kensington 2257.
    Jericho schaute eine Sekunde darauf, dann gab er ihr die Karte zurück.
    »Sie glauben doch nicht, daß irgendein Grund vorliegt, ihn zu beunruhigen, oder?« fragte Miss Monk. »Jedenfalls jetzt noch nicht. Bestimmt taucht Claire früher oder später hier auf, mit irgendeiner albernen Geschichte, daß sie verschlafen hat…«
    »Bestimmt«, sagte Jericho.
    »… und wenn sie kommt«, fügte sie schlau hinzu, »was soll

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