Enigma
dachte Jericho.
»Es gibt noch mehr, das Sie wissen sollten. Ein Mann war letzte Nacht an Ihrem Haus, während ich dort war. Er flüchtete, als er meine Stimme hörte. Und eben habe ich Claires Vater angerufen. Er behauptet, nicht zu wissen, wo sie ist, aber ich glaube, er lügt.«
Das schien sie zu beeindrucken. Sie kaute auf der Innenseite ihrer Lippe und schaute wieder weg, den Abhang hinunter. Ein Zug, dem Geräusch nach ein Expreß, fuhr durch Bletchley, und ein dunkler Rauchvorhang, eine halbe Meile lang, stieg in Wellen über der Stadt auf.
»Das alles geht mich nichts an«, sagte sie schließlich.
»Sie hat nicht erwähnt, daß sie verreisen wollte?«
»Das tut sie nie. Weshalb sollte sie?«
»Und sie ist Ihnen in letzter Zeit nicht irgendwie merkwürdig vorgekommen? Irgendwie angespannt?«
»Mister Jericho, wir könnten vermutlich diese Haltestelle - wahrscheinlich sogar einen ganzen Doppeldeckerbus - mit jungen Männern füllen, die sich Sorgen machen wegen ihrer Beziehungen zu Claire Romilly. So, und jetzt bin ich wirklich sehr müde. Zu müde und in diesen Dingen zu unerfahren, um Ihnen irgendwie von Nutzen sein zu können. Entschuldigen Sie mich.«
Sie bestieg ihr Fahrrad, und diesmal versuchte Jericho nicht, sie zurückzuhalten. »Haben die Buchstaben ADU für Sie irgendeine Bedeutung?«
Sie schüttelte gereizt den Kopf und stieß sich vom Bordstein ab.
»Es ist ein Rufzeichen«, rief er ihr nach. »Vermutlich deutsches Heer oder Luftwaffe.«
Sie bremste so heftig, daß sie vom Sattel rutschte und ihre flachen Absätze auf dem Pflaster entlangschlitterten. Sie schaute in beiden Richtungen über die leere Straße. »Sind Sie völlig verrückt geworden?«
»Sie finden mich in Baracke 8.«
»Einen Moment. Was hat das mit Claire zu tun?«
»Oder andernfalls im Gästehaus in der Albion Street.« Er nickte höflich. »ADU, Miss Wallace. Affen denken ungern. Und jetzt lasse ich Sie in Ruhe.«
»Mister Jericho…«
Aber er wollte keine ihrer Fragen beantworten. Er überquerte die Straße und eilte den Hang hinunter. Als er nach links in die Wilton Avenue einbog und auf das Haupttor zustrebte, warf er einen Blick zurück. Sie stand immer noch da, wo er sie verlassen hatte, mit den dünnen Beinen neben den Pedalen, und starrte ihm verblüfft nach.
4.
Als er in Baracke 8 zurückkehrte, wartete Logie bereits auf ihn. Er wanderte in dem engen Registrierraum herum, hatte die knochigen Hände auf dem Rücken verschränkt, und der Kopf seiner Pfeife ruckte in alle Richtungen, weil er wütend auf ihrem Stiel herumkaute.
»Ist das Ihr Mantel?« war seine einzige Begrüßung. »Sie sollten ihn mitnehmen.«
»Hallo, Guy. Wo wollen wir hin?« Jericho nahm seinen Mantel vom Haken an der Tür, und eine der Wrens bedachte ihn mit einem mitfühlenden Lächeln.
»Wir werden uns unterhalten, alter Junge. Und dann gehen Sie nach Hause.«
In seinem Büro angekommen, ließ sich Logie auf seinen Stuhl sinken und schwang seine riesigen Füße auf den Schreibtisch. »Machen Sie die Tür zu, Mann. Wir wollen zumindest versuchen, das unter uns abzumachen.«
Jericho gehorchte. Es gab keinen Stuhl, auf den er sich hätte setzen können, also lehnte er seinen Rücken an die Tür. Ihm war überraschend gelassen zumute. »Ich weiß nicht, was Skynner Ihnen erzählt hat«, begann er, »aber ich habe es nicht geschafft, ihm einen Schlag zu versetzen.«
»Oh, dann ist ja alles in bester Ordnung.« Logie hob in gespielter Erleichterung die Hände. »Ich meine, solange kein Blut geflossen ist und keiner dem anderen irgendwelche Rippen gebrochen hat…«
»Immer mit der Ruhe, Guy. Ich habe ihn nicht angerührt. Aus diesem Grund kann er mich nicht hinauswerfen.«
»Er kann tun, was immer ihm in den Kram paßt.« Der Stuhl knarrte, als Logie die Hand über den Schreibtisch ausstreckte und eine braune Akte ergriff. Er schlug sie auf. »Wollen mal sehen, was wir hier haben. ›Schwere Insubordination‹ steht da. ›Versuchter tätlicher Angriff‹ steht da. ›Der letzte in einer langen Reihe von Zwischenfällen, die vermuten lassen, daß der Betreffende für den aktiven Dienst nicht mehr geeignet ist‹.« Er warf die Akte auf den Schreibtisch. »Wie die Dinge liegen, bin ich geneigt, mich dieser Ansicht anzuschließen. Ich habe seit gestern nachmittag darauf gewartet, daß Sie hier aufkreuzen. Wo sind Sie gewesen? Auf einer Party beim Chef des Admiralstabs?«
»Sie sagten, ich brauchte keine volle Schicht zu arbeiten.
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