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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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ein Ausländer, der gerade in einem ihm unbekannten Land eingetroffen ist.
    Er wählte abermals die Null.
    »Vermittlung.«
    »Kensington zwei-zwei-fünf-sieben…«
    Wieder steckte Jericho vier Pennies in den Metallschlitz. Wieder klickte es mehrere Male, dann trat eine Pause ein. Er hielt den Finger über dem A-Knopf. Aber diesmal kam kein Freizeichen, sondern nur das Blip - blip - blip, das verkündete, daß die Leitung besetzt war, und in seinem Ohr hämmerte es wie ein Pulsschlag.
    Im Laufe der nächsten zehn Minuten unternahm Jericho drei weitere Versuche, jedesmal mit dem gleichen Ergebnis. Entweder hatte Romilly den Hörer abgenommen, oder er führte mit irgend jemandem ein langes Gespräch.
    Jericho hätte es noch ein viertes Mal versucht, aber eine Frau aus der Kantine mit einem Mantel über der Schürze war aufgetaucht und klopfte ungeduldig mit einer Münze an die Scheibe. Schließlich räumte Jericho die Zelle. Jetzt stand er am Straßenrand und überlegte, was er nun tun sollte.
    Er schaute zurück auf die Baracken. Ihre gedrungenen grauen Formen, gleichermaßen langweilig und vertraut, wirkten jetzt fast bedrohlich.
    Verdammt. Was hatte er schon zu verlieren?
    Er knöpfte sein Jackett zu, um besser vor der Kälte geschützt zu sein, und machte sich auf den Weg zum Tor.

3.
    Die Kirche St. Mary, acht solide Jahrhunderte aus hartem weißem Stein und christlicher Frömmigkeit, lag am Ende einer Allee aus bejahrten Eiben, weniger als hundert Meter von Bletchley Park entfernt. Als Jericho durch das Friedhofstor ging, sah er Fahrräder, fünfzehn oder zwanzig, die neben dem Portal abgestellt waren, und einen Augenblick später hörte er die Orgel und den wehmütigen Gesang einer Gemeinde der Kirche von England, die gerade eine Hymne angestimmt hatte. Er kam sich vor wie ein später Gast, der auf einer Party eintrifft, die bereits in vollem Gange ist.
    Wie Blätter am Baum wir blühn und vergehn, wir welken dahin, doch Du wirst bestehn…
    Jericho stampfte mit den Füßen auf und klopfte sich auf die Arme. Er dachte kurz daran, hineinzuschlüpfen und ganz hinten am Ende des Mittelschiffs zu warten, bis der Gottesdienst vorüber war, aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß es so etwas wie ein unauffälliges Betreten einer Kirche nicht gab. Die Tür würde lautstark zufallen, Köpfe würden sich umdrehen, irgendein übereifriger Kirchenältester würde herbeieilen und ihm ein Blatt mit Gebeten und ein Gesangbuch in die Hand drücken… Aufsehen dieser Art war das letzte, was er sich wünschte.
    Er verließ den Pfad und tat so, als betrachtete er die Grabsteine. Bereifte Spinnweben von unglaublicher Größe und Zartheit funkelten zwischen den Grabsteinen: marmorne Monumente für die Wohlhabenden, Schiefer für die Feldarbeiter, verwitterte Holzkreuze für die Armen und die Kinder. Ebenezer Slade, vier Jahre und sechs Monate alt, ruht in den Armen Jesu. Mary Watson, Frau von Albert, abberufen nach langer Krankheit, sie ruhe in Frieden… Auf einigen der Gräber deuteten Sträuße aus toten Blumen, vom Eis versteinert, auf ein fortbestehendes Interesse der Lebenden. Auf anderen hatten gelbe Flechten die Inschriften unleserlich gemacht. Er bückte sich und kratzte etwas davon weg und lauschte gleichzeitig den Stimmen der Rechtschaffenen hinter den Buntglasfenstern.
    »O ihr Taue und Fröste, gesegnet sei der Herr: lobet und preiset ihn immerdar. O du Eis und Kälte, gesegnet sei der Herr: lobet und preiset ihn immerdar…«
    Seltsame Bilder schossen ihm durch den Kopf.
    Er dachte an die Beerdigung seines Vaters, an genau so einem Tag wie diesem: eine eiskalte, häßliche, viktorianische Kirche im Industriegebiet der Midlands, Medaillen auf dem Sarg, seine Mutter weinend, seine Tanten in Schwarz, er von allen mit betrübter Neugierde angestarrt, während er eine Million Meilen weit entfernt und damit beschäftigt ist, die Nummern der Hymnen in seinem Kopf zu zerlegen (»Befreit euch von dem Irrtum, Laßt hinter euch die Nacht«, Nr. 392 in Ancient and Modern, kam, wie er sich erinnerte, besonders hübsch heraus als 2x7x2x7x2…)
    Und aus irgendeinem Grund dachte er an Alan Turing, der an einem Winterabend in der Baracke ganz hektisch vor Erregung war, während er darüber sprach, wie der Tod seines besten Freundes ihn veranlaßt hatte, ein Bindeglied zwischen der Mathematik und dem Spirituellen zu suchen, und behauptete, daß sie in Bletchley eine neue Welt schufen: daß die Bomben bald ganz anders aussehen

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