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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Jericho. »Bitte, ich bestehe darauf. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause. Wie wär´s mit einem Tee?«
    »Tee. Eine großartige Idee.« Vor dem Krieg war Logie Mathematiklehrer an einer großen und sehr alten Privatschule gewesen. Er hatte erfolgreich Rugby und Hockey gespielt, und Ironie prallte von ihm ab wie Kieselsteine von einem heranstürmenden Nashorn. Er durchquerte das Zimmer und packte Jericho bei den Schultern. »Kommen Sie, lassen Sie sich anschauen, alter Junge«, sagte er und drehte ihn ins Licht, erst zur einen und dann zur anderen Seite. »Ach herrje, Sie sehen ja furchtbar aus.«
    Jericho schüttelte ihn ab. »Bis eben ist es mir gutgegangen.«
    »Tut mir leid. Wir haben angeklopft. Ihr Pförtner hat uns hereingelassen.«
    »Uns?«
    Aus dem Schlafzimmer drang ein Geräusch.
    »Wir sind in dem Wagen mit dem Stander gekommen. Das hat Ihren Mister Kite mächtig beeindruckt.« Logie folgte Jerichos Blick auf die Schlafzimmertür. »Ach, das? Das ist Leveret. Kümmern Sie sich nicht um ihn.« Er rief: »Mister Leveret!
    Kommen Sie heraus, damit ich Sie mit Mister Jericho bekannt machen kann. Dem berühmten Mister Jericho…«
    Ein kleiner Mann mit einem schmalen Gesicht erschien an der Schlafzimmertür.
    »Guten Abend, Sir.« Leveret trug einen Regenmantel und einen Filzhut. Seine Stimme hatte einen leichten nördlichen Akzent.
    »Was zum Teufel tun Sie da drinnen?«
    »Er hat sich nur vergewissert, daß Sie allein sind«, sagte Logie verbindlich.
    »Natürlich bin ich allein, verdammt noch mal!«
    »Und ist das ganze Treppenhaus leer? Niemand in den Zimmern über oder unter Ihrem?«
    Jericho warf empört die Hände hoch. »Um Himmels willen, Guy…«
    »Ich glaube, es ist alles in Ordnung«, sagte Leveret zu Logie. »Da drinnen habe ich die Verdunkelungsvorhänge schon zugezogen.« Er wandte sich zu Jericho. »Was dagegen, wenn ich es hier auch tue?« Er wartete nicht auf das Einverständnis, sondern ging zu dem kleinen, in Blei gefaßten Fenster, öffnete es, nahm seinen Hut ab, streckte den Kopf hinaus und schaute nach oben und unten, nach rechts und links. Vom Fluß stieg gefrierender Nebel auf, und ein Schwall eisiger Luft drang ins Zimmer. Beruhigt zog Leveret den Kopf wieder ein, schloß das Fenster und zog die Vorhänge zu.
    Eine halbe Minute lang sagte niemand etwas. Dann brach Logie das Schweigen, indem er sich die Hände rieb und sagte: »Könnten Sie nicht ein bißchen heizen? Ich hatte vergessen, wie kalt dieser Bau im Winter ist. Schlimmer als die Schule. Und Tee? Sagten Sie nicht etwas von Tee? Möchten Sie eine Tasse Tee, Leveret?«
    »Ja, gerne, Sir.«
    »Und wie wäre es mit Toast? Ich habe gesehen, daß Sie drüben in der Küche Brot haben. Toast vor einem Collegekamin? Wäre das nicht ganz wie in alten Zeiten?«
    Jericho musterte ihn einen Moment. Er öffnete den Mund, um zu protestieren, besann sich dann aber. Er nahm eine Schachtel Streichhölzer vom Sims, riß eines davon an und hielt es an die Gasheizung. Wie üblich war der Druck niedrig, und das Streichholz ging aus. Er riß noch eines an, und diesmal klappte es. Ein bläulicher Flammenwurm glühte auf und breitete sich aus. Er ging über den Flur in die kleine Küche, füllte den Kessel und zündete eine Gasflamme an. Im Brotkasten lag tatsächlich ein Laib - Mrs. Saxmundham mußte ihn Anfang der Woche hineingelegt haben -, und er schnitt drei graue Scheiben ab. Im Schrank fand er ein Glas Marmelade aus der Vorkriegszeit, überraschend genießbar, nachdem er die weiße Schimmelschicht darauf abgekratzt hatte. Es gab auch einen Klacks Margarine auf einem angeschlagenen Teller. Er stellte seine Delikatessen auf ein Tablett und starrte auf den Kessel.
    Vielleicht träumte er das alles nur. Aber als er hinüberschaute in sein Wohnzimmer, lag Logie abermals auf dem Sofa, und Leveret saß mit dem Hut in der Hand ziemlich unbequem auf der Kante eines Stuhls wie ein unsicherer Zeuge, der darauf wartet, mit einer nicht ausreichend geprobten Geschichte vor den Richter gerufen zu werden.
    Natürlich hatten sie schlechte Nachrichten mitgebracht. Was konnte es sein außer schlechten Nachrichten? Der amtierende Chef von Baracke 8 würde nicht fünfzig Meilen im kostbaren Schlitten des stellvertretenden Direktors über Land fahren, nur um ihm einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Sie hatten vor, ihn zu feuern. »Tut uns leid, alter Junge, aber Trittbrettfahrer können wir nicht gebrauchen…« Jericho fühlte sich plötzlich sehr erschöpft.

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