Entbrannt
vorwärtstasten, bis wir an eine schwach beleuchtete Abzweigung gelangten. Ich schob meine Sinne nach außen, hielt nach Olivier Ausschau und zeigte dann auf eine Backsteinmauer.
»I ch weiß nicht, wie wir dorthin kommen, aber es ist, als wäre er innerhalb dieser Mauer«, sagte ich zunehmend verwirrt.
»M it Kraft?«, schlug Spence vor.
Ich ging zu der Wand und legte meine Hand darauf. Sie fühlte sich echt und solide an. Ich wich ein paar Schritte zurück. »E s gibt nur einen Weg, das herauszufinden.«
Ich stieß die Kraft in mir an, mein Amethystnebel breitete sich aus, konzentriert darauf, seinen Weg zu der Mauer zu finden. Der Nebel repräsentierte meinen Willen– eine Verlängerung meiner engelhaften Seite, die ich noch lernen musste zu beherrschen.
Die Kraft, die diesen verborgenen Tunnel geschaffen hatte, war das Werk von Verbannten. Und sie waren lange Zeit hier unten gewesen.
»V erdammt«, flüsterte Spence, der offenbar dasselbe wahrnahm. »S ie können von hier unten über die ganze Stadt verfügen.«
Wir gingen durch den Durchgang, wobei wir eine Reihe von Eingängen überprüften, die zu noch mehr Tunnels führten. »O h, Mann, direkt unter der Nase der Akademie.«
»S ie wissen nichts davon?«
Spence schüttelte ehrfürchtig den Kopf.
»V ielleicht sollten wir ihnen lieber nichts davon sagen«, fügte ich hinzu.
Spence zog sarkastisch eine Augenbraue nach oben. »F indest du ?«
Wir wussten beide, dass uns Josephine nicht glauben würde. Außerdem warf das die Frage auf: Wer verwaltete dieses Labyrinth? Lilith war gerade erst nach New York zurückgekehrt, daraus ließ sich schließen, dass ein anderer Verbannter oder eine Gruppe von Verbannten dafür verantwortlich war.
Wir folgten der Spur der Kraft durch den Tunnel. Dabei bewegten wir uns schnell und leise, bis wir zu einem Bogen kamen, der sich zu einem anderen, breiteren Tunnel öffnete, durch den sich Bahnlinien zogen. Weiter hinten war ein erhöhter Bahnsteig zu sehen. Das musste die stillgelegte U-Bahn-Station sein, die Spence erwähnt hatte.
»Z uerst müssen wir Olivier von dem Kind trennen…«, fing Spence an.
Ich nickte. Olivier konnte das Genick dieses Jungen schneller als der Blitz brechen. Wir waren fast an der Station, und es wurde immer schwieriger, sich ihm zu nähern, ohne dass er uns wahrnahm.
Wir blieben auf den Schienen, kauerten uns unter die Kante des verlassenen Bahnsteigs und beobachteten, wie Olivier auf und ab ging. Im gedämpften Licht sah die Station recht schön aus– die geschwungenen Tunnelwände waren grün und cremefarben gekachelt, während die Decke mit Bleiglasmustern dekoriert war. Ein verborgener Schatz unter der Stadt.
»W orauf wartet er?«, fragte Spence gerade, als ein Lufthauch eine lose Haarsträhne auf meinem Gesicht aufwirbelte und mir der Atem stockte. Ohne es zu merken, packte ich ihn am Arm.
»S hit, Eden. Kannst du mal locker lassen?«, flüsterte er und versuchte, seinen Arm wegzuziehen. Aber als ich nicht gehorchte, legte er eine Hand auf meine Schulter. »W as ist los?«
Jasmin und Moschus. Das ist los.
Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. »P hoenix kommt«, zischte ich.
Olivier wartet auf Phoenix.
»N un… da sieht die Sache jetzt schon anders aus. Was nun?«, fragte Spence. Es war sonnenklar, dass wir nicht in der Lage sein würden, die beiden auszuschalten und obendrein den kleinen Jungen zu retten– vor allem nicht, wenn Phoenix mich mit der Kraft eines einfachen Gedankens vernichten konnte.
Der Wind wurde stärker. Wir schoben uns zurück in unser Versteck und beobachteten Phoenix’ Ankunft.
Er trug einen maßgeschneiderten schwarzen Anzug und polierte schwarze Schuhe. Sein Haar war länger geworden und schimmerte noch immer auf die ihm eigene Art und Weise– etwas Mächtiges ging von jeder Strähne aus, die Ansätze waren so dunkel, dass sie violett aussahen, und funkelndes Silber ließ es leuchten wie einen Opal. Das Resultat war so überwältigend wie immer. Entgegen aller Logik begann mein Herz in meinen Ohren zu hämmern.
Phoenix ließ seine Hände in die Taschen gleiten. Er verströmte sein Selbstbewusstsein in Wellen. So hatte ich ihn noch nie gesehen. So losgelöst und doch so… gefasst, mit einer starren Entschlossenheit, die mir noch mehr Angst einjagte als seine übliche Arroganz und seine manipulativen Spielchen.
Er musterte Olivier von oben bis unten, ohne auch nur einen Blick in die Richtung des noch immer bewusstlosen Jungen zu
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