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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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Zeitungen und Fernsehsender berichten über einen »Transplantationsskandal« an der Universitätsklinik Göttingen. Dort wird einem leitenden Oberarzt vorgeworfen, die Anzahl der Lebertransplantationen mit unlauteren Methoden gesteigert zu haben. Der Oberarzt soll Patientenakten manipuliert haben, damit die Patienten auf dem Papier kränker aussehen, als sie in Wahrheit waren. Dadurch sollten sie auf der Warteliste für eine Leberspende nach oben »rutschen«. Und so konnte der Oberarzt das Universitätsklinikum Göttingen offenbar mit einer zuvor noch niemals gelungenen Erhöhung der Eingriffszahlen beglücken. Innerhalb eines Jahres gelang es diesem Arzt, die Zahl der Leber-Transplantationen von neun auf vierzig zu steigern 23 .
    Für die Klinik war diese Steigerung ein einträgliches Geschäft, denn solche Eingriffe werden außerordentlich gut vergütet: Bis zu 150000 Euro pro Transplantation, je nachdem, wie lange die künstliche Beatmungszeit dauert.
    Zuerst berichten die Medien ausführlich über die Manipulation der Krankenakten, über Wartelisten für Spenderorgane und über die Art und Weise, wie die knappen Organe an diejenigen kommen, die auf der Liste ganz oben stehen. Dann stellt sich allerdings heraus: Der Mediziner hatte mit der Klinik einen Bonusvertrag geschlossen, der sich am Mustervertrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft orientiert. Die Klinik ist so verfahren, wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft in § 8 des Mustervertrags empfiehlt: Sie hatte eine Vereinbarung über »Zielgrößen nach Art und Menge« abgeschlossen. Weniger bürokratisch ausgedrückt: Die Klinik hatte dem Arzt offenbar vertraglich zugesichert, jede zusätzliche Transplantation mit einer Prämie von 2000 Euro zu belohnen. Damit war zum ersten Mal bewiesen, dass finanzielle Anreize das Verhalten von Medizinern beeinflussen können.
    Jetzt erst meldet sich der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft Georg Baum zu Wort. Der Cheflobbyist der Kliniken in Berlin verurteilt das Vorgehen des Mediziners in aller Schärfe. Niemals habe die Deutsche Krankenhausgesellschaft mit ihrem Mustervertrag einem kriminellen Verhalten Vorschub leisten wollen. Der Lobbyverband lässt unter Journalisten eine »Klarstellung« verbreiten und verschickt ein Rundschreiben an die Krankenhäuser. »Mengenvereinbarungen sind im Rahmen der Transplantationsmedizin kein geeigneter Gegenstand einer Zielvereinbarung mit Chefärzten«, erklärt der Klinikverband jetzt wörtlich. Und in anderen medizinischen Fachgebieten? In der Chirurgie oder Kardiologie? Hauptgeschäftsführer Baum drückt sich vorsichtig aus. Zielvereinbarungen im Krankenhaus sollten mit der »notwendigen Sensibilität« gehandhabt werden. Und: »Es sollte insgesamt überprüft werden, ob es notwendig ist, finanzielle Anreize für einzelne Operationen und Leistungen zu vereinbaren oder nicht vielmehr auf eine budgetäre Gesamtverantwortung umzustellen.« 24
    Was ändert sich mit dieser Klarstellung? Sind Mengenanreize ab jetzt tabu? Der Anwalt Norbert H. Müller glaubt das nicht. Er findet die klarstellenden Worte der Deutschen Krankenhausgesellschaft »windelweich«. Lässig lehnt er sich auf das Marmortischchen, gleich muss er wieder in den Palaissaal nach vorne auf das Podium. Im noblen Hotel Adlon, im Zentrum Berlins gelegen, trifft sich im November 2012 der Verband der Chefärzte zu seinem Jahreskongress. Als Justitiar des Verbands ist Müller von Bochum nach Berlin gekommen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sei zwar aufgeschreckt, sagt Müller. Aber erledigt sei das Thema nicht: Wenn Bonuszahlungen jetzt nicht mehr an die Steigerung von Fallzahlen, sondern unverfänglicher an die Erhöhung des Umsatzes der Abteilung gekoppelt werden, sei das für ihn »dasselbe in Grün«. »Die wirtschaftliche Orientierung bleibt. Der Chefarzt weiß doch, dass er den Umsatz nur mit mehr Hüften oder mehr Operationen steigern kann.«
    Am 28. Januar 2013 ist das Thema Bonusregelungen dann im Bundestag angelangt. Die Regierungsfraktionen von CDU und FDP haben zwei neue Gesetzesparagrafen verfasst, die bei näherem Hinsehen ganz im Sinne der Deutschen Krankenhausgesellschaft ausgefallen sind. Zwar sollen Bonusverträge, die sich auf »Einzelleistungen« beziehen, die also die Steigerung der Zahl von künstlichen Hüftgelenken, Herzschrittmachern oder einzelnen Operationen direkt benennen und belohnen, künftig nicht mehr erlaubt sein. So jedenfalls die Empfehlung des

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