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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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Gesetzgebers – zu einem expliziten Verbot konnte sich die Koalition nicht durchringen. Faktisch wird das im Krankenhausalltag aber nicht viel verändern. Denn Bonusverträge, die eine Leistungsausweitung der gesamten Abeilung belohnen, wären erlaubt. Es ist also so gekommen, wie Rechtsanwalt Norbert H. Müller befürchtet hat: Die wirtschaftliche Orientierung in den Chefarztverträgen darf bestehen bleiben – nun mit dem Segen des Gesetzgebers. »Eine Mogelpackung« nennt der Chefärzteverband denn auch diese Gesetzesänderung.
    Der private Helios-Konzern reagiert. Seit Beginn des Jahres 2013 wurden die Zielvereinbarungen mit leitenden Ärzten verändert. Bonuszahlungen in Abhängigkeit von Fallzahlsteigerungen seien ab jetzt für alle Helios-Kliniken tabu, schrieb der Vorstandsvorsitzende Francesco De Meo seinen Mitarbeitern. Der Bonus solle stattdessen immer an drei Ziele geknüpft werden: an Qualität, Wirtschaftlichkeit und Weiterbildung. Offenbar hat die Debatte um die Boni-Verträge etwas bewirkt, denn es ist tatsächlich ein Fortschritt, wenn Chefärzte dafür belohnt werden, dass sie ihren Mitarbeitern regelmäßig eine gute Fortbildung ermöglichen.
    Halbherzig ist das Umdenken jedoch in puncto Wirtschaftlichkeit: Ein Drittel des Bonus soll an zwei wirtschaftliche Kriterien gebunden sein. Eines davon bezieht sich auf die vom Konzern vorgegebene Erlössteigerung, die je nach Klinik etwas variiert: Nur wenn die Klinik 15 Prozent mehr Gewinn erziele als im Jahr davor, soll der Bonus in voller Höhe ausgezahlt werden, berichtet beispielsweise ein Chefarzt über seinen neuen Vertrag. Insofern wird über den Umweg der Erlössteigerungdoch wieder der Druck auf einzelne Chefärzte ausgeübt, Fälle zu steigern oder aber Stellen, zum Beispiel in der Pflege, länger vakant zu halten oder später zu besetzen. Beides, das wissen Chefärzte, dient der Erlössteigerung gleichermaßen.
    Wären die Besprechungen zwischen Chefärzten und Geschäftsführern öffentlich, würde der Begriff der »Fallzahlsteigerung« sicherlich zum Unwort des Jahres 2012 gekürt. 18,6 Millionen Menschen wurden 2011 in deutschen Krankenhäusern behandelt – 25 Prozent mehr als 1991 25 . Und das liegt nicht an dem viel zitierten demografischen Faktor – also nicht daran, dass die Bevölkerung in Deutschland älter und kränker wird. Das erklärt diese Fallzahlsteigerung nur zu einem kleinen Teil.
    Womöglich wären die Operationszahlen noch krasser angestiegen – gäbe es nicht immer wieder Chefärzte wie Professor Namenlos, die sich diesen Vorgaben der Geschäftsführer widersetzen. Oder auch Assistenzärzte, die nicht von Bonuszahlungen profitieren und den Mut fassen, sich unabhängig von ihrem Chef zu äußern. Wie etwa im Fall jenes 90-jährigen Patienten, dem der Chefarzt empfohlen hatte, eine künstliche Herzklappe mit einem neuen Operationsverfahren namens TAVI einzubauen. Aus Sicht des Krankenhauses und des Chefarztes ein lukrativer Eingriff. (vgl. dazu auch Operation Geldsegen). Als am Vorabend der Operation der Assistenzarzt am Bett des Patienten erscheint, um den Aufklärungsbogen mit ihm durchzusprechen, fragt der alte Herr unvermittelt den jungen Arzt, was er denn von diesem Eingriff halte? Der gibt ihm zur Antwort: »Wenn Sie mein Großvater wären, würde ich Ihnen zu diesem Eingriff nicht raten« – denn das Risiko, daran zu versterben, sei aus seiner Sicht zu hoch. Erschrocken bespricht sich der 90 Jahre alte Mann mit seiner Familie, entscheidet sich gegen den Eingriff. Das ist vier Jahre her, der rüstige Alte ist dem Assistenzarzt heute noch dankbar.
    Vielleicht ein tröstliches Beispiel, dass einzelne Ärzte den Mut aufbringen und die Wirkung von Bonusverträgen im Krankenhausalltag subversiv unterlaufen. Aber als Patient sich darauf verlassen zu müssen, wäre eine Katastrophe.
    Ursel Sieber
    19 Deutsches Ärzteblatt, 19.9.2008: Wolfgang Storm: Aus dem Abschiedsbrief eines Krankenhausarztes. Von Ärzten und Hampelmännern
    20 Deutsches Ärzteblatt, 19.9.2008: Aus dem Abschiedsbrief eines Krankenhausarztes: Von Ärzten und Hampelmännern
    21 DRG kommt aus dem Amerikanischen und heißt »diagnosis related groups«, übersetzt: diagnosebezogene Fallgruppen. Abgerechnet wird nicht mehr nach Liegetagen, sondern mit Fallpauschalen, siehe auch Produktionsstätte Krankenhaus, S. 52 in diesem Buch
    22 Und in § 8 des Mustervertrags heißt es: Gegenstand der Zielvereinbarungen könnten insbesondere die Vereinbarung von

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