Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
outgesourced und dadurch bewährte Teams zerschlagen.
Das gipfelt nicht selten darin, dass man die Instrumente, die man für eine OP braucht, nicht erhält. Um einzusparen, werden sowohl die Instrumentenbeschaffung als auch die Sterilisation von den OP -Bereichen weg verlagert und nicht selten outgesourced. Wir hatten früher eine eigene Sterilisation. Jetzt ist alles zentral – irgendwo. Woher soll der Kollege dort wissen, was es bei uns im OP für Besonderheiten gibt? Trotz endloser Listen ist eben Nadelhalter nicht gleich Nadelhalter oder Meißel nicht gleich Meißel. Es ist wie Weihnachten; man macht die Kiste auf und weiß nicht, was drin ist.
Ich habe noch einen Altvertrag, mit mir kann die Leitung keine Zielvereinbarungen treffen, Gott sei Dank nicht. Aber mit den Neuen. Die kriegen eine Zielvereinbarung, ein typisches Beispiel: im Jahr 100 Hüften. Und daran ist das Gehalt des Arztes gekoppelt. In manchen Verträgen ist unter Umständen auch eingearbeitet, dass man ihm bei Nichterfüllung mit Entlassung droht. Was macht der Betroffene? Wenn er im Oktober feststellt, dass er erst 60 Hüften operiert hat? Das System ist doch in sich krank. Es führt übrigens auch dazu, dass die Klinikverwaltung im Gegensatz zu vielen klinischen Abteilungen wunderbar ausgestattet ist.
Ich habe selbst vor Kurzem eine Darmspiegelung machen lassen. Die Räumlichkeiten waren für meine Begriffe indiskutabel; zum Aufwachen lagen die Patienten alle auf dem öffentlichen Flur. Wobei sich sowohl die Ärzte als auch die Schwestern super gekümmert haben. Ohne solches Engagement würde die medizinische Versorgung nicht mehr funktionieren. Die Prioritäten stimmen eben nicht.
Die Wirtschaftlichkeit wird dadurch verbessert, dass Personal radikal gekürzt wird. Und die Folgen sind eben nicht nur Einzelfälle, sondern symptomatisch. Ein Beispiel: Ein schwerkranker Tumorpatient, frisch operiert, hat ins Bett gemacht, morgens. Bis spätnachmittags kommt keiner. Dann sagt der Bettnachbar zur Schwester: »Können Sie nicht mal gucken?« Die bricht in Tränen aus und sagt: »Ich weiß das, aber was soll ich denn tun, ich bin alleine hier.«
Oder ein anderes: Ein Angestellter der Materialbeschaffung reklamiert, dass das Lager viel zu groß sei und dringend abgebaut werden müsse. Die Schwester warnt: »Wenn wir aber ein Polytrauma haben, dann brauchen wir unter Umständen 100 bis 150 Schrauben. Was machen wir, wenn wir die nicht vorhalten?« Unser OP -Team zeichnet sich dadurch aus, dass wir seit zwanzig Jahren den niedrigsten Krankenstand im Klinikum hatten. Aus allen Abteilungen will OP -Personal zu uns, in unseren OP . Und trotzdem wird von der Pflegedirektion mit Konsequenzen gedroht, es stört wohl, dass wir ein geschlossenes Team sind; so etwas muss aufgebrochen werden. Eine solche funktionierende Gemeinschaft ist für manche wohl unerträglich, die muss zerstört werden.
Ein weiteres Beispiel ist die Zusammenlegung von Stationen. Hier werden Patienten unterschiedlicher Fachrichtungen auf einer Station zusammengefasst, um Personal und Betten zu reduzieren. Auch das ist ein Unding. Wir haben in der Chirurgie noch eine spezialisierte Station, die restlichen Patienten werden zusammengelegt, von der Urologie, Neurologie und Neurochirurgie, auch mal der Gynäkologie. Jedes dieser Fächer stellt sehr spezielle Anforderungen an die Pflege, und die einen wissen oft nicht, was die anderen gemacht haben. Das Argument heißt dann: Pflege ist Pflege, egal, wo!
Das Gleiche gilt für Operationen. Aber so darf man nicht denken. Wir sprechen über hoch spezialisierte Berufe und Bereiche. Da kann man nicht einfach sagen: »Heute gehe ich dahin, und morgen gehe ich dorthin.« Geht nicht. Ich habe zu unserem Pflegedirektor, wie sie ja heute heißen, gesagt: »Ich mache seit dreißig Jahren oder länger Kieferchirurgie. Der Herzchirurg macht seit dreißig Jahren Herzchirurgie – wir können ja mal tauschen. Mach ich ein bisschen Herzchirurgie, und der kann ein bisschen bei uns probieren. Und dann gucken wir, was passiert.« Absurd. Aber bei den Schwestern soll es so gehen.
Mein Lebtag habe ich in Kliniken gearbeitet, weil mein Bereich fast nur in der Klinik funktioniert. Ich hab Zahnmedizin und parallel Medizin studiert, war früh im Ausland und traf meine Entscheidung. Wichtig war es, bei Top-Leuten zu lernen. Und sowohl in Deutschland wie auch in Frankreich lernte ich halt bei Mund-/Kieferchirurgen und Gesichtschirurgen von Weltruf. Vor allen Dingen
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