Entfernte Verwandte: Kriminalroman
als erschütternd unbegabt erwiesen. Dennoch war sie geblieben, hatte Wäsche gewaschen, Essen gekocht, Taschen und Koffer von einem Ort zum anderen transportiert, ohne Fragen zu stellen, und nachdem ich sie gewissermaßen geerbt hatte, war sie meine treue Sekretärin geworden.
Eine ganztägige Assistentin brauchte ich nicht, Oksana kam nur ein paar Tage pro Woche in mein Büro. Sie schrieb Rechnungen und kümmerte sich um die einfache Buchführung, beantwortete E-Mails und Anrufe, die von den Bürotelefonen auf ihr Handy weitergeleitet wurden. » VK -Konzern, gutten Tag«, flötete sie dann und vermittelte sogar Illustriertenwerbern das Gefühl, mit ihrem Anliegen ernst genommen zu werden.
Aber jetzt klingelte das Telefon nicht, niemand versuchte, Abonnements zu verkaufen, und Bauherren riefen erst recht nicht an.
»Das weiß ich, Oksanka«, erwiderte ich freundlich. »Irgendwie kommen wir schon zurecht, keine Sorge, immerhin haben wir es warm und bekommen genug zu essen«, redete ich ihr gut zu und tätschelte ihr den Arm.
»Ja-a.« Oksana schniefte und tupfte sich mit einem zerknüllten Stofftaschentuch, das sie aus der Tasche ihrer dünnen Strickjacke gezogen hatte, die Tränen aus den Augen. »Ich weiß ja, dass du dein Besseres tust, Vitjuscha …«
»Dein Bestes«, korrigierte ich.
»Was?«, fragte Oksana verwirrt.
»Also, ich tue … dein Bestes … oder mein Bestes …«
»Ich weiß, dass du mein Bestes tust und verlasse mich darauf. Wir vermeiden Kürzerarbeit und Entlassungen«, erklärteOksana würdevoll und wuselte in die Kochnische. »Bleibst du lange, wenn ich Quarkbällchen hole?«, fragte sie dann und hob eine Teetasse hoch.
»Hol ruhig welche. Ich besorge inzwischen ein bisschen Geld. Und dann trinken wir Tee.«
Oksana sagte, sie werde sofort in die Markthalle eilen und schlug die Hände zusammen, als gebe sie sich das Startsignal.
Ich wartete. Oksana zog die Lippen nach und legte Puder auf. Sie dachte laut darüber nach, ob sie die Haare mit einem Tuch zusammenbinden oder offen lassen sollte, und ob sie die Strickjacke überhaupt brauchte, aber ein erwachsener Mensch kann doch nicht mit nackten Armen … Endlich ging sie.
Als ich die Tür hinter ihr abschloss, hörte ich, dass sie ihr Selbstgespräch fortsetzte.
Ich trat an meinen Aktenschrank und ruckelte das mannshohe Ungetüm aus Stahlblech von der Wand. An der Rückwand des Schranks waren zwei große braune Briefumschläge befestigt. Ich riss sie ab und stellte tastend fest, welcher der beiden meine Notkasse enthielt. Den anderen Umschlag klebte ich wieder an den Schrank. Darin lagen ein paar Reservepässe und andere russische Dokumente, die ich jetzt nicht brauchte.
Was ich brauchte, war Geld. Die gebündelten Banknoten waren für überraschende Anschaffungen vorgesehen, die bar bezahlt werden mussten, oder für Notfälle. Und von einem Notfall war ich nicht weit entfernt.
Rasch zählte ich zehntausend Dollar ab. Es war ein Fehler gewesen, meinen Reservefonds in dieser Währung anzulegen, der Dollarkurs war in letzter Zeit instabil und schwach gewesen. In Euros hätte meine Sparstrumpfeinlage sich besser gemacht.
Ich schob den Aktenschrank wieder an die Wand und verrieb die Schmutzspuren auf dem Fußboden mit der Hand. Dann zog ich eine Schublade auf und warf den leichter gewordenen Umschlag hinein. Die Dollarnoten teilte ich in Stapel unterschiedlicher Größe auf, bemühte mich, in jedem Stapel auch kleinere Scheine unterzubringen und alle ein wenig zu zerknittern, damit sie gebraucht wirkten. Oksana sollte die Dollarbündel an einige vertrauenswürdige Personen verteilen, die sie in Euro umtauschen und das Geld auf meine Firmenkonten überweisen oder ins Büro bringen würden.
Der unbekannte, vor Zeiten verstorbene Präsident der Vereinigten Staaten, dessen Konterfei die Scheine zierte, schien mich spöttisch anzusehen.
Ich musste mehr über Frolow erfahren. Als ich die Drogen im Gefrierschrank inventarisiert hatte, war mir klar geworden, dass ich meinen Geschäftspartner und seinen Hintergrund kaum kannte. Bei dieser Erkenntnis war es mir fast so kalt den Rücken heruntergelaufen wie bei der Entdeckung der eisigen Drogen.
Die Zusammenarbeit mit Frolow hatte sich zufällig ergeben, ungeplant und ohne genaue Recherchen. Zuerst hatte ich ihm geschmuggelte Zigaretten und einen Satz CD s abgekauft, Raubkopien natürlich, dann hatte ich ihm einen meiner Ansicht nach legalen Chemikalientransport vermittelt und gedolmetscht,
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