Entfernte Verwandte: Kriminalroman
hundert Rubel, die er bekam, waren so gut wie wertlos. Olavi hatte versucht, im Privatsektor ein Zubrot zu verdienen, und war einige Jahre in Sankt Petersburg als Sicherheitsberater für finnische Firmen tätig gewesen. Schließlich hatte er eine Einreisegenehmigung als Rückwanderer bekommen und war nach Finnland gezogen, wo er mehr schlecht als recht von derGrundrente und der Unterstützung der Freundschaftsvereine lebte. Von mir wollte er nichts annehmen. Auch zu Besuch kam er nur selten, wollte nie bei uns essen, wollte seine Würde und seine Selbständigkeit nicht aufgeben.
Vor Jahren hatte ich meinen Onkel um Hilfe gebeten, als der russische Geheimdienst sich allzu sehr für mich interessiert hatte. Olavi hatte leise gepfiffen und dann gemurmelt, seine Befugnisse und Beziehungen reichten nicht aus, um offiziell Einfluss zu nehmen, aber es sei durchaus möglich, dass auf meiner Akte eine falsche Registriernummer auftauchen könnte. Oder sie würde im Archiv zufällig falsch eingeordnet, in großen Organisationen könne man Fehler ja nie ganz ausschließen.
»Na, was hast du diesmal für Sorgen?«, erriet Olavi meine Gedanken. »Zum heutigen Amt habe ich keine Kontakte mehr.«
»Es geht um alte Dinge, um Familiengeschichten und so.«
»Aha, aha«, sagte Olavi und stellte sein Hörgerät ein.
Ich merkte plötzlich, wie sehr mein Onkel gealtert war, und rief mir ins Gedächtnis, dass er bereits auf die achtzig zuging. Ich wartete schweigend, registrierte die abgestandene Atmosphäre einer Alte-Leute-Wohnung, ein wenig zu warm, schlecht gelüftet, eine Tüte Pfefferminzdrops auf dem Nachttisch.
»Aber glaub ja nicht, dass mein Kopf nicht mehr funktioniert, mein Junge«, rief Olavi dröhnend. Wieder schien er meine Gedanken gelesen zu haben. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie er bei Vernehmungen in diesem Ton mit Verdächtigen gesprochen hatte, in voller Manneskraft, ein großer, massiger Kerl, dessen Pranken immer noch stark waren. »Na, lass uns Tee trinken«, sagte er.
» Bolschoje spasibo «, dankte ich und beschloss, ihm in aller Ruhe zuzuhören.Ich überquerte gerade in Tikkurila die äußere Umgehungsstraße, als das Handy in meiner Hosentasche vibrierte. Ich musste mich verrenken, um es hervorzuholen. Auf dem Display stand Korhonen ruft an .
»Tag Teppo«, grüßte ich jovial. Ich wusste, dass Korhonen seinen Taufnamen nicht mochte.
»Kannst du schlecht reden?«, fragte Korhonen seltsam sachlich.
»Ich bin in der Firma.«
Das war nur leicht gelogen, denn zu meiner Halle hatte ich nur noch einen halben Kilometer zu fahren.
»Du sitzt im Auto, das höre ich. Und bestimmt ohne Freisprechanlage. Gegen alle Gesetze und Vorschriften«, wies Korhonen mich zurecht und redete gleich weiter. »In die Poliklinik in Malmi ist ein Russe eingeliefert worden. Unters Auto gekommen oder zusammengeschlagen worden oder im Suff verunglückt. Keine Papiere, mittlere Größe, mittleres Alter, dunkle Haare, spricht Russisch, hat auch ein paar finnische Worte gesagt, aber bisher ist er noch nicht vernommen worden. Könnte das dein Verwandter sein?«
»Durchaus möglich. Ist er schlimm zugerichtet?«, fragte ich und spürte, wie mir der Schreck die Kehle zuschnürte.
»Genaues weiß ich nicht, aber er atmet aus eigener Kraft. Ich bin gerade auf dem Weg nach Malmi. Die Schupo hat uns informiert, weil Verdacht auf Körperverletzung besteht und es möglicherweise eine Verbindung zur Schwarzarbeit gibt. Die bei uns ja neuerdings der Schwerpunkt ist«, sagte Korhonen bissig. »Bin mit Parjanne unterwegs. Ein dummer Kriminalhauptwachtmeister schafft so was ja nicht allein …«
Im Hintergrund war Parjannes verdrossenes Stöhnen zu hören.
Ich kurvte auf den Hof vor der Halle und trat auf die Bremse, ließ den Motor laufen, um gleich weiterfahren zu können.
»Ich hole seine Frau. Wir kommen hin und sehen uns den Mann an. Fünfzehn Minuten«, erklärte ich.
Matti Kiuru trat aus der Halle. Er trug einen blauen Overall und eine Baseballkappe, mit dem Schirm im Nacken, und hatte einen Zettel in der Hand.
»Man hat Pawel Wadajew gefunden«, rief ich ihm zu. »Er ist in der Poliklinik in Malmi, in schlechter Verfassung. Hast du es eilig?«
»Nicht besonders … Vater hat mich gerade losgeschickt, ich soll bei Etola und Starkki Material besorgen. Oder ist die Eisenwarenhandlung in Malmi besser?«
»Das kann warten. Fahr mir nach, zu uns und dann zur Klinik. Kann sein, dass wir einen zweiten Wagen brauchen, wenn Pawel zum
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