Entfernte Verwandte: Kriminalroman
sie und atmete gleichzeitig ein, die Hand vor dem Mund. Sie suchte nach Hoffnungszeichen in den Gesichtern der beiden Beamten.
»Leider haben wir allen Grund zu der Annahme, dass Ihr Mann gefunden wurde, und zwar tot«, sagte Parjanne ohne Umschweife. »Mein Beileid. Aber wir brauchen natürlich eine Bestätigung. Das heißt, der Tote muss identifiziert werden. Es könnte ja auch der falsche Mann sein, so wie letztes Mal«, ließ er ein wenig Hoffnung aufschimmern.
»Allerdings hatte dieser Papiere in der Tasche. Denen zufolge wäre er Pawel Wadajew, es tut mir leid«, fügte Korhonen hinzu.
Marja kam und legte Xenja von hinten die Arme auf die Schulter.
»Ich begleite Xenja, damit sie nicht ganz allein ist«, sagte sie. »Bleib du mit Serjoscha und Anna hier, Viktor.«
Ich brummte zustimmend. Xenja gegenüber brachte ich kein Wort heraus, nicht einmal eine Beileidsfloskel. Insgeheim war ich Marja dankbar. Ich hatte einen Horror vor Toten. Leichen ansehen oder auch nur mit einem Toten im selben Raum sein war etwas, was ich nicht konnte, trotz allem, was ich gelernt hatte.
Xenja legte sich eine Strickjacke um, nachdem Parjanne zuerst vor der Kälte inmitten der Sommerhitze gewarnt und dann verlegen gehüstelt hatte, weil in dieser Situation selbst vernünftige Ratschläge unangebracht erschienen. Korhonen hielt den Frauen die Türen auf und erklärte, er werde fahren. Parjanne wollte protestieren, gab ihm dann aber doch den Autoschlüssel. Der Mondeo verschwand beim Zurücksetzen hinter dem Stellplatz, kam dann noch einmal kurz zum Vorschein und brauste davon. Ich winkte.
Niemand winkte zurück.
Serjoscha stand auf der Treppe und wollte wieder Fußball spielen. Wir wechselten uns zwischen den Birken als Torwart ab. Sergej wehrte den Ball mit solchem Einsatz ab, dass seine Hosen bald braungrüne Flecken an den Knien hatten. Ich brachte es nicht übers Herz, ihn zu tadeln.
»Hol dir ein Eis aus dem Gefrierschrank«, sagte ich, als wir aufhörten.
Der Junge ging ins Haus und kam mit einem Hörnchen zurück.
»Ich gucke Fernsehen«, sagte er in fragendem Ton.
Ich erlaubte es ihm.
Vorsichtig sah ich nach Anna, die auf der Terrasse im Kinderwagen schlief. Sie lag leise schnaufend auf dem Bauch.Durch die dünne Haut des Augenlids sah man, wie sich ihr Auge bewegte.
Im Wohnzimmer hatte sich Sergej im Sessel vergraben, nur seine schlenkernden Knöchel und Füße waren zu sehen. Er hielt ein Stück Küchenkrepp in der Hand, denn Marja hatte gesagt, der Sessel sei wertvoll und er dürfe keine Flecken auf dem Polster hinterlassen. Sergej nahm die Fernbedienungen vom Tisch, konnte sie alle mühelos bedienen. Auf dem Bildschirm flimmerte ein Musikvideo.
Ich fühlte mich wie ein Arzt in Tschernobyl, der einem Feuerwehrmann Salbe für die gerötete Haut gibt und weiß, dass der Patient dieses Jucken nicht überlebt.
Was hätte ich dem Jungen sagen können, dem vaterlosen.
Ich rief Matti Kiuru an und bat ihn zu kommen. Außerdem fragte ich ihn nach der Nummer des Arbeitskräftehändlers Luoma. Auf meinem eigenen Handy hatte ich sie nicht gespeichert, und ich hatte keine Zeit, zum Kiosk zu laufen und die Zeitung zu holen, in der Luoma inserierte. Matti versprach, mir die Telefonnummer zu simsen und zu kommen, sobald er den gerade angerührten Mörtel verstrichen und mit Fliesen belegt hatte. Ich sagte, brandeilig sei es nicht, Pawel Wadajew laufe uns nicht mehr davon.
»Luoma«, meldete sich die heisere Männerstimme. Im Hintergrund war Verkehrsrauschen zu hören.
»Wo bist du?«
»In Tallinn.«
»Verdammt«, entfuhr mir.
»Ich hätte dich angerufen, sicher schon in der nächsten Stunde«, verteidigte sich Luoma in gekränktem Ton, obwohl ich ihm noch gar nichts vorgeworfen hatte.
»Na, bisher hast du dich nicht gemeldet. Aber egal. Vatanen ist tot.«
»Aha.«
»Du trauerst aber sehr«, höhnte ich.
»Komm mir nicht auf die Tour«, empörte sich Luoma. »Ich hab den Burschen bloß ein paar Mal gesehen, und auch nur von Weitem. Der wollte unbedingt in Finnland arbeiten. Wir haben versucht, passende Baustellen für ihn zu finden, wo er zurechtkommt. Das heißt, darum haben sich natürlich meine Kunden gekümmert. Ich bin kein Wohltätigkeitsverein und keine Sozialtante, ich leiste harte Arbeit«, predigte er wie ein Kleinunternehmer beim Wahlgespräch.
»An wen hast du den Vatanen verkauft?«
Eine halbe Minute lang hörte ich nur Rauschen. Ich wollte gerade nach Luoma rufen, da murmelte er eine
Weitere Kostenlose Bücher