Entfernte Verwandte: Kriminalroman
aufsammelte.
»Ein Verwandter von mir arbeitet irgendwo in der Helsinkier Gegend. Ich vermute, du hast ihn verkauft«, fügte ich rasch hinzu.
Luoma lächelte erleichtert.
»Welche Branche? Und woher?«
»Er heißt Pawel Wadajew, wird aber auch Vatanen genannt. Aus Russland, aus Karelien. Bauarbeiter, ich glaube nicht, dass er Fliesen verlegen kann«, sagte ich mit einem raschen Blick auf Matti Kiuru.
»Wie soll ich all die Namen behalten? Kann sein, dass er auf meinen Baustellen gewesen ist, ich meine, auf Baustellen, für die ich Männer geliefert habe.«
»Veikko, arbeitet Pawel für dich?«, fragte ich ein wenig schärfer.
Luoma seufzte, zog ein kleines Heft aus der Tasche seiner Khaki-Weste und blätterte die Seiten um, die mit Notizen in winziger Schrift gefüllt waren.
»Ja, der Name kam mir gleich bekannt vor. Ein schlechter Mann«, sagte er und verzog unzufrieden den Mund. »Nicht direkt faul, aber gedankenverloren, irgendwie abwesend. Ich musste ihn weiterleiten.«
»Wohin?«
»Das steht hier nicht. Die Männer kommen auf so vielen Wegen und landen bei vielen verschiedenen Kunden. Dieser Vatanen hat mir wahrscheinlich absolut nichts eingebracht. Ich muss mich erkundigen.«
»Dafür brauchst du doch wohl keinen Computer. Wohin hast du Vatanen geschickt? Und zu wem?«
»Ist in Excel nicht vermerkt«, äffte Luoma mich nach. »Er ist eben weitergereicht worden. Wohin, muss ich klären. Ich erkundige mich, obwohl ich auch daran nichts verdiene«, wiederholte er hartnäckig, ärgerte sich über die unproduktive Arbeit. »Ich rufe dich morgen an. Versprochen.«
Die Tür ging. Eine junge Frau wehte herein. Sie rief zuerst nur Hallo, gab mir dann aber doch die Hand und sagte, sie sei Susanna. Sie benahm sich ein bisschen zu normal, wie es Frauen, die um ihre Schönheit wissen, manchmal tun: geben sich locker und zwanglos, klagen vor dem Spiegel scherzhaft über ihre Falten, wenn die Frau neben ihnen hässlicher ist. Und in Gesellschaft von Männern bewegen sie sich, als wüssten sie nicht, dass man ihnen zuschaut.
»Bei uns findet gerade ein Generationswechsel statt. Das heißt, Susanna hat ja die ganze Zeit hier in Finnland ihre eigene Firma geführt«, erklärte Luoma mit unverhohlenem Stolz.
»Ja, und wir beabsichtigen, stark zu expandieren«, sagte SusannaLuoma. Gutmütig lächelnd betrachtete sie das schäbige Büro ihres Vaters und gab zu verstehen, dass sie eine neue Zeit verkörperte. »Das Seniorenheimkonzept ist bald so weit, dass wir es den Kommunen anbieten können. Da wird reichlich Pflegepersonal gebraucht. Wir haben Rekrutierungsstellen in Bulgarien und Rumänien. Aus den neuen EU -Ländern kommt gutes Material, das man frei importieren kann. Die Leute fordern nicht gleich Urlaub, wenn ihre Kinder mal krank sind.«
Die Tochter ihres Vaters, dachte ich. Sklavenhandel in der zweiten Generation.
32
Träskmossa, Sipoo
Die Frau und der Mann waren sich bereits im Herbst begegnet, hatten gemerkt, dass sie sich auf denselben Wanderwegen in Vantaa dem Nordic Walking widmeten, die Stöcke im selben Takt schwangen. Zuerst hatten sie nur ein paar gleichgültige Worte gewechselt, wahrscheinlich über den Nieselregen, vielleicht sogar über ihre Sehnsucht nach der prasselnden Farbenpracht des Herbstlaubs im Norden. Nachträglich erinnerten sie sich nicht mehr genau, doch Lapplandsehnsucht wäre wohl ein zu kühnes Thema für das erste Gespräch gewesen.
Während sie auf den Winter und den Schnee warteten, waren sie immer öfter gemeinsam gegangen und hatten immer mehr miteinander gesprochen, mühelos und über alles. Auf dem Parkplatz hatten sie sich auf ihre Stöcke gelehnt, den Kies aufgescharrt und sich gewünscht, noch nicht wegfahren zu müssen, obwohl beide ein Zuhause hatten und alles in Ordnung war.
Die Frau war Finanzchefin in einem Familienunternehmen, war mit der Firma gewachsen. Sie hatte einen Ehemann, der Fett angesetzt hatte, eine Kuhle ins Sofa drückte, Formel-1-Übertragungen anguckte und in jeder Hinsicht anständig, aber ganz und gar nicht so war, wie die Frau es sich gewünscht hätte. Das konnte sie einzig und allein sich selbst vorwerfen. Sie hatte die Entwicklung ihres Mannes vollkommen falsch vorhergesehen, oder genau genommen war sie nicht fähig gewesen, ihr eigenes Leben langfristig zu durchdenken, sie hatte bis zurHochzeit gedacht, zum Kauf der ersten Wohnung, zur Geburt der Tochter … immer nur ein Stückchen weiter. Nach ihrem vierzigsten Geburtstag merkte die
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