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Entfernte Verwandte: Kriminalroman

Entfernte Verwandte: Kriminalroman

Titel: Entfernte Verwandte: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matti Rönkä
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Obwohl ich es ja längst wusste.
    Matti Kiuru saß am Küchentisch, locker zurückgelehnt und mit lang ausgestreckten Beinen. Anton hockte ihm gegenüber, ein halbleeres Wasserglas vor sich. Der Junge hatte sich so weit beruhigt, dass er nicht mehr zitterte, und er weinte nicht mehr pausenlos, sondern schluchzte nur noch gelegentlich auf.
    Ich setzte mich ans Tischende.
    »Anton, alles Schlimme ist jetzt vorbei«, sagte ich auf Russisch, sanft wie ein Pfarrer bei der Taufe. »Wir kümmern uns um dich … ich kümmere mich um dich«, präzisierte ich, als der Junge zu Matti aufsah, der kaum älter war als er selbst. »Du hast deinen … Arbeitgeber nicht getötet. Und ich mache dich auch nicht zu seinem Mörder«, versicherte ich Anton und suggerierte ihm damit zugleich, dass man ihn als den Schuldigen hinstellen konnte. »Erzähl mir mal, wie das passiert ist.«
    Anton knetete seine Finger und trank einen Schluck Wasser.
    »Es klingelte. Maxja war auf der Terrasse, er rief, mach mal auf. Und das habe ich getan.«
    Er holte Luft.
    »Da stand eine Frau, eine Russin, in mittleren Jahren, also dreißig, vierzig, so um den Dreh. Sie fragte nach Maxim Semjonowitsch Frolow, wie nach einem Bekannten, aber ganz höflich. Ich habe sie eingelassen und Maxim aus dem Garten geholt. Die Frau stand da im Flur, und als Maxja kam, hat sie auf einmal eine Waffe aus der Tasche gezogen und ganz oft geschossen,und Maxja ist da auf den Boden gefallen. Er hat nicht geschrien, nicht gejammert, nichts gesagt. Bestimmt war er sofort tot, ich habe gesehen, wie ein Stück von seinem Kopf abging.«
    Anton nahm ein Stück Küchenkrepp von der Spüle und putzte sich die Nase.
    »Ich habe die Frau angeguckt und gedacht, jetzt erschießt sie mich auch, aber sie hat bloß vor sich hin gestarrt, ganz ruhig. Oder wie gelähmt, aber irgendwie ganz kühl«, setzte Anton seine Schilderung fort. Das Sprechen schien ihn zu erleichtern. »Ich bin nach oben gerannt und hab mich versteckt und bloß gewartet. Ich hatte Angst, dass sie mir nachkommt. Aber sie ist wohl einfach verschwunden. Und dann habe ich Geräusche gehört, und dann hast du die Tür aufgerissen.«
    Ich schätzte, dass Antons Bericht der Wahrheit entsprach, und entdeckte auch keine Lücken im Ablauf der Ereignisse. Wie Xenja nach Kulosaari gekommen und wohin sie geflohen war, blieb offen, aber das konnte auch Anton nicht wissen.
    Der Junge schnäuzte sich erneut.
    »Ihr denkt, ich wäre ein Strichjunge. Aber so was war es eigentlich nicht. Ich hab nicht mit Maxja geschlafen. Der war ja auch schon uralt. Er war eher so was wie ein Onkel oder ein großer Bruder«, fuhr er auf Finnisch fort.
    Er sah mir in die Augen, mit einem flehenden Blick, der entweder ehrlich oder gut einstudiert war. Ich war versucht, ihn darauf hinzuweisen, dass Maxja ziemlich genau in meinem Alter und Xenja ein Jahr jünger war, doch ich ließ es sein. Anton hatte seine Sonnenbrille mit den bläulichen Gläsern verloren, aber die kleine grüne Mao-Kappe saß auf seinem Kopf wie angewachsen.
    »Ich nehme mal an, dass du ein anständiger Junge bist, Anton. Du hast sicher Familie hier?«
    »Ja, Vater und Mutter und zwei Schwestern, die wohnen in Malminkartano.«
    »Du warst die beiden letzten Tage zu Hause. Von der Schießerei hier weißt du nichts. Ich besorge den passenden Täter«, versprach ich. »Und ich kümmere mich um dich. Du bekommst Arbeit, wirst ein ehrbarer Mann. Als Erstes lernst du, dass man im Haus keinen Hut trägt.«
    Anton sah mich entgeistert an, nahm aber vorsichtshalber die Kappe vom Kopf.
    »Matti, gib Anton deinen Anorak. Und Anton, du gehst jetzt bis zur überübernächsten Bushaltestelle. Und zwar so, dass dich keiner sieht oder dass du zumindest nicht auffällst. Du steigst an einer anderen Haltestelle ein als sonst. Oder noch besser: Du gehst bis zur Metrostation. Fahr ins Zentrum und von da nach Hause und lass deine Familie schwören, dass du die ganze Zeit dort gewesen bist, Play Station gespielt hast und allerhöchstens mal zu Siwa gegangen bist, um Kartoffelchips zu kaufen.«
    Anton holte tief Luft, richtete sich zu einer halbwegs entschlossenen Haltung auf und ging. Die Küchenuhr tickte die Sekunden herunter. Sie stand auf kurz vor neun. Die Digitalanzeige am Herd lieferte dieselbe Information in glühendem Rot: 20:52. Instinktiv schaute ich auf meine Uhr und erhielt die nächste Bestätigung.
    Ich tippte die Nummer ein. Die Botschaft meldete sich sofort und Malkin nach nur wenigen Sekunden,

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