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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Faust-Spektakeln. Das war wirklich nur mehr für Provinzpolitiker richtig gewesen. Und sie musste sich nicht gleich von so einem Pippikram. Und die jungen Frauen. Die hatten es leicht. Die konnten es leicht nehmen. Sie trank. Kaute. Schluckte. Die Mischung aus Chipsfett und Essig und Bier darüber. Sie war draußen. Sie musste sich zugeben, dass sie draußen war. Sie hatte den Krieg verloren und war draußen. Und sie durfte nicht einmal mehr die Schlacht anschauen. Bei der Schlacht zusehen. Sie war wirklich draußen. Sie bekam nichts mehr mit. Und deshalb konnte sie nichts mehr beurteilen. Alle ihre Maßstäbe. Sie waren auf diese öffentlichen Schlachten ausgerichtet. Sie hatte sich jede private Meinung abgewöhnt. Abtrainiert. Sie war ein öffentliches Organ geworden und deshalb wusste sie jetzt nichts. Und sie wusste nicht nichts, weil sie etwas vergessen hatte. Sie wusste nichts, weil sie alles, was sie wissen hätte können, nicht anwenden konnte. Nicht mehr wissen durfte. Nicht einmal nicht mehr. Eigentlich. Ihre Stimme erstickt. »Nicht einmal nicht mehr« zu hören. Nicht einmal. Und sie hatte sich glücklich gefunden, kein entfremdetes Leben führen zu müssen. Sie hatte gedacht, dass sie privilegiert gewesen war, weil sie ihre Neigungen zu ihrem Beruf gemacht hatte. Dabei hatte sie ihre Neigungen dieser Institution dienstbar gemacht. Einer Institution, die den Krieg nur auf die kulturelle Ebene transportieren sollte. Den Krieg gegen die Subjekte. Und das würde im Herbst ja dann im Burgtheater endgültig sichtbar. Wenn der Nitsch seine Schweine da ausnehmen würde. Dann war der Kreis geschlossen. Blut auf der Theaterbühne. Echtes Blut. Schlachtblut. Schlachttag. Und sie war dafür gewesen. Weil man nichts unterdrücken sollte. Weil mit dem Nichts-Unterdrücken die Macht so schön fest wurde. So selbstgerecht. Weil die Macht dann Freiheit rufen konnte. Und sie hatte keine Zweifel gehabt. Erst jetzt. Als Vernichtete. Als Vernichtete und ohne Kompass. Erst jetzt waren ihr die Zweifel klar. Draußen und zu spät. Sie sagte sich das vor. Im Kopf. Ließ das zu einem Chor werden. Draußen und zu spät. Unverortet und aus der Zeit gekippt. Sie hätte es auch so sagen können. Aber das sah gleich zu schön aus. Das sagte sich gleich so als Formel. Als bedeute ein solcher Satz etwas. Als gäbe es noch etwas zu beschreiben. Mit so einem Satz. Mit einem »Unverortet und aus der Zeit gekippt.« Da blieb die Bedeutung als Grabstein hängen. Wurde ein Grabstein. Behauptete einen Grabstein. Obwohl in Wirklichkeit. In Wirklichkeit blieb nichts übrig. Nicht einmal ein schöner Satz. Die Wahrheit war, draußen und zu spät. Und selber schuld. Sie hätte sich ja einordnen können. Oder ganz herausfallen lassen. Oder kleiner. Und Intendantin beim Donau-Festival. Und so nett vor sich hin. Eine der unendlichen Dienstleisterinnen. Eine aus dem Schwarm all dieser netten und attraktiven Frauen, die es recht machten. Nicht richtig. Recht. Und die damit ihre Blumarine-Röcke und Jil-Sander-Hosenanzüge bezahlen konnten, damit sie den sie einsetzenden Männern gefielen und die ins Bett gingen mit ihnen, damit sie wussten, wohin sie gehörten. Diese Kette der Abhängigkeit ließ sich ja nicht einmal in eine Erpressung umdrehen. Weil alle immer alles freiwillig machten, waren die Skandale in Freiheit zerstäubt. Und deshalb war dieses Filmchen ein Scheiß. Was sollte mit so einem Dingelchen gemacht sein. Und wahrscheinlich. Sie trank das Bier aus. Sie war noch weiter draußen und am Ende, als sie es sich je vorstellen hatte können. Sie konnte nicht einmal das. So ein Filmchen. Sie war zu alt. Sie hatte keinen Anfang mehr zu erwarten. Vertan und draußen. Draußen und vertan. Es war nicht einmal zu spät. Die Zeit war vorbei. Es gab keine Zeit mehr für sie. Sie saß da. Dachte vor sich hin. Skandierte sich »Vertan und draußen. Draußen und vertan.« Das Bier. Eine kleine Unsicherheit im Kopf. Aber die Gefühle erreichten ihren Körper nicht. Sie konnte sich vollkommen frei bewegen. Unbeschwert und ohne Enge. Die Überlegungen drehten sich im Kopf. Als sähe sie sie als Film. Sie dachte weiter, wie sie während des Film gedachte hatte. Und dann war das doch gelungen. Das Filmchen. Und hatte die Regie die Stummfilmtechnik eingesetzt, damit die Figuren so oft ganz gezeigt werden konnten. Die ganze Figur. Von oben kamen drei Männer die Stufen herunter. Sie waren groß und kräftig. Fitnesscenterschwule, dachte Selma. Sie kamen die

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