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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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nur gelungen war, ihm die Augen zu verdrehen. Seinem Bild mit Fotoshop die Augen zu verdrehen. Mehr war niemandem eingefallen. Ob sie Interesse an einem Projekt in Wien hätte, hätte sie gefragt. Ein kleines. Das Budget ja vertan. Aber ein Miniprojekt. Das hätte man schon. Und das war vorbei. Für sie. Und die Wiener Festspiele auch. Das war jetzt nur für sie gewesen. Hier das. Sie hatte das nur für sich gesehen. Sie hatte keinen Augenblick an die Verwertung gedacht. An die Verwertungsmöglichkeiten. An eine Weiterverwertung. An die Wiederverwertung der Regisseurin. Dass das eine Frau gemacht hatte, das war ziemlich eindeutig. Obwohl. Der fettsüchtige Jesus wäre auch in Frage gekommen. Und sie würde es niemandem erzählen. Ihre Begeisterung nicht mitteilen. Ihre Begeisterung ungeteilt bei ihr. Das Paar blieb in der Ecke sitzen. Selma ging hinter der Gruppe hinaus. Die Stufen hinauf. Alle versammelten sich an der Bar und bestellten drinks beim »Prince of Wales«. Alle lachten immer wieder über diese Szene. Der fettsüchtige Jesus holte Bier aus der Kühllade unter der Bar. Verteilte. Kassierte. Selma ging in den Raum. Wanderte die Plakate entlang. Aus allen Abschnitten der Filmgeschichte hingen Plakate. In der Mehrzahl aber aus den Frühzeiten. Santa Claus beim Einsteigen in einen Rauchfang für »The Night Before Christmas.« 1906. Schauspielerporträts. Ein romantisch verhangener Crane Wilbur. Eine zartschöne Florence La Badie. Die Profile der beiden einander zugewandt. Der Mann sah von unten unter den Brauen hervor. Dräuend herausfordernd. Eine dunkle Locke in die Stirn. Die Frau die Augen gesenkt. Eine Ähnlichkeit mit dem Jugendporträt von Virginia Woolf hatte. Die Augen ebenso groß und klar und die Nase im Profil gegen die schwere Last der Haare im Genick aufgetürmt. Selma stand vor den Bildern. Es war wohl die Fotografie. Das Licht, das diese kostbaren Gesichter herstellte. Precious, fiel ihr ein. Sie stand vor dem Bild und wünschte sich, so auszusehen. Sie wandte sich um. Ging an die Bar zurück. Ob sie auch ein Bier haben könnte, fragte sie. Und was bedeute der Hinweis »snacks«. Der Mann griff unter die Bar und holte eine Packung Kartoffelchips hervor. Sie könne Chips mit bacon oder mit vinegar haben. Sie nahm vinegar. Sie wollte ihre Geldbörse aus der Tasche holen. Der Mann wehrte ab. Er lächelte. Ein Bier und Chips. Das gehe in das Honorar. Selma wollte ihm erklären, dass da ein Missverständnis vorliege. Dass sie dieses Missverständnis aufklären müsse. Das Paar kam die Stufen vom Kinosaal herauf und verlangte Mojitos. Der fettsüchtige Jesus begann, die Zutaten zusammenzusuchen. Das Paar stellte sich an die Bar. Selma nahm ihr Bier und die Chipspackung. Sie setzte sich auf einen Barhocker. An ein kleines Tischchen. Zur Wand mit der Bühne zu. Sie lehnte die Tasche gegen den Barhocker. Riss die Chipspackung auf. Begann, Chips zu essen. Das Essigaroma. Das schmeckte gut. Das hatte diesen süßsalzig gemütlichen Geschmack. Der Geschmack, der fastfood so wichtig machte. Zur Beruhigung. Die Chips knisterten im Mund. Sie trank Bier über die scharfen Chipssplitter im Mund. Würde das nun Ernst werden. Das mit dem Modell-Stehen. Sie schaute sich um. Das bestellte Modell würde schon noch auftauchen. Dann würde sich das Missverständnis von alleine auflösen. Oder sie ging ganz einfach. Sie trank in Ruhe ihr Bier und ging. Sie konnte das Geld auf dem Tisch liegen lassen. Sie schaute sich nach einer Preisliste um. Konnte keine finden. Sie trank aus der Flasche. Das war ja doch schrecklich gewesen. Gerade eben. Das mit den Kindern. Das war grauslich. Und ein Märchen. Und so dilettantisch. Und sie war schon unkritisch geworden. Kaum musste sie nicht mehr mit dem prüfenden Blick hinschauen. Schon ließ sie sich einfangen. Sie hatte immer nur die Besten und Interessantesten gefördert. Und immer nur so lange die auch wirklich die Besten und Interessantesten geblieben waren. Sie hatte den Cirque du Soleil 1986 in Avignon entdeckt und eingeladen. Lange bevor die total kommerzialisiert wurden. Und La Fura dels Baus. Noch früher. Und wie denen dann die Ideen ausgegangen waren. Sie hatte die dann nicht mehr vorgeschlagen. Und den Stein. Den hätte sie auch nur 10 Jahre früher genommen. Von der Schaubühne weg. Damals noch. Wie er noch etwas gewollt hatte. In den 90ern hätte sie ihn nicht mehr. Und so viel Geld in die Rekonstruktion seiner reaktionären Männlichkeit. Mit diesen

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