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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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zusammengepresste Hitze. Das Lenkrad glühend. Sie suchte nach ihren Handschuhen. Die Handschuhe immer in der Seitentasche der Autotür. Sie schnitt sich am Eiskratzer in der Seitentasche. Der Eiskratzer in den Parkscheinen versteckt. Die Handschuhe waren im Handschuhfach. Selma hielt inne. Saß ruhig. Wann hatte sie die Handschuhe ins Handschuhfach gelegt. Sie machte das nicht. Warum sollte sie das gemacht haben. Sie war immer allein. Im Auto. Jetzt. Sie musste nicht aufräumen. Oder Platz machen. Sie konnte sich nicht erinnern. Sie konnte sich schon wieder an so eine Kleinigkeit nicht mehr erinnern. War das Stress. Oder verließ sie ihr Hirn. Ihr Kopf. Das Gedächtnis. Jemand hupte hinter ihr. Sie schreckte auf. Sah in den Rückspiegel. Ein dunkelblauer Ford stand hinter ihr. Die Frau am Steuer beugte sich vor und deutete auf den Parkplatz. Ob sie wegfahre. Selma winkte und startete. Sie schnallte sich an. Hastig. Verwickelte den Gurt. Verdrehte ihn. Hatte ein zusammengedrehtes Gurtseil vor ihrer Brust. Sie fuhr an. Sie musste zweimal vor und zurück. Der Parkplatz so eng. Die Frau ließ das Auto vorrollen. Blinkte. Hinter ihr die kurze Straße hinunter andere Autos. Die laufenden Motoren. Selma merkte erst beim Einbiegen in die Piaristengasse. Sie hatte den Atem angehalten. Ihr Herzschlag den Hals herauf. Sie holte tief Luft. Sie fuhr. In der Lederergasse schnallte sie sich ab. Drehte mit der rechten Hand den Gurt gerade. An der Ampel zur Josefstädterstraße schnallte sie sich wieder an. Sie glitt im Strom der anderen Autos dahin. Rumpelte über die Straßenbahnschienen. In der Mittagshitze kaum jemand auf der Straße. Sie bog dann wieder in die Lange Gasse ein. Schlängelte sich an Lieferwagen vorbei. Beim Billa und bei GEA. Auf der Lerchenfelderstraße alles frei. Sie konnte sofort einbiegen. Die Ampel zur 2er Linie grün. Dann der Stau. Auf der 2er Linie um diese Zeit. Immer nur schrittweise. Und erst Ende Juli Wien dann so leer, dass man zu jeder Zeit mit Schwung durchfahren konnte. Selma kam hinter einem riesigen grünen SUV zu stehen. »Pathfinder« stand hinten links. Sie fuhr hinter diesem Wagen her. Sie konnte nichts sehen. Nur die grüne Hinterfront. Sie schaltete. Bremste. Fuhr wieder an. Schaltete. Mehr als der zweite Gang war nicht notwendig. Sie starrte vor sich hin. Sah die grüne Front vor sich verschwommen. Folgte dem Grün. Beim Volkstheater kam sie dann kurz mitten auf der Kreuzung zu stehen. Aber es ging sich dann doch noch aus. Die Kolonne fuhr gerade wieder an, als der Querverkehr Grün bekam. Es interessierte sie aber nicht. Nicht sehr. Beim Museumsquartier fiel ihr ein. Sie konnte die Klimaanlage einschalten. Sie saß in der Hitze. Sie hatte kein Fenster geöffnet. Die Hitze umfing sie. Drängte auf sie ein. Umfasste sie. Die trockene heiße Luft ein Korsett. Für das Gesicht. Für den Hals. Sie schwitzte in den Handschuhen. Aber sie wollte die Hände nicht in die Sonne halten. Am Steuer. Sie hatte Altersflecken. Nur vom Autofahren hatten sich braune kleine Flecken auf den Handrücken gebildet. Blasse braune Flecken. Die Mutter keinen einzigen Altersfleck gehabt hatte. Aber sie hatte auch nicht die Haut der Mutter geerbt. Sie war nach dem Vater gekommen. Brünett mit einem roten Stich. Und die sommersprossige Haut. Und noch so viele sommersprossige Models in der »Vogue« zeigen konnten. Sie mochte sie nicht. Sie fuhr dahin. Die schlechte Laune über sie gegossen. Sie war wund. Tief innen. Weh. Sah die Gestalt die Lange Gasse hinunterschlurfen. Sah dieses Unglück sich über den Gehsteig schleppen. Weiter außen war sie wütend. Ihr Unglück hatte keinen Platz neben dieser Zerstörung. Auch darin Konkurrenz, dachte sie. Nicht einmal in der Tragödie unbehelligt. Noch im größten Unglück maximieren notwendig. Und das Überleben immer nur vom Superlativ gewährleistet. An der Oberfläche. Sie schimpfte über den »Pathfinder«. »Arschlöcher.« sagte sie vor sich hin. Wenn sie einen automatischen Fensterheber in ihrem alten Golf gehabt hätte. Sie hätte das Fenster heruntergleiten lassen und »Arschlöcher.« hinausgeschrien. Das Fenster herunterkurbeln. Sie war zu müde dazu. Zu eingefangen in diesem Sitzen hinter dem Lenkrad. Er hatte gesessen. Der Satz »Der hat ja jetzt ein Kind.« Die Szene in den Kopf holte. Die Szene in den Kopf stopfte. Sie sich selber sehen musste. Vor der eigenen Wohnungstür. Mit dem Köfferchen aus Zagreb zurück. Wie ihr diese Frau einen Koffer nach dem

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