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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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anderen auf den Gang stellte. Wie sie dem zugesehen. Gebannt zugesehen hatte. Wie nach dem vierten Koffer die Tür zugefallen war. Und ihr Schlüssel ihre eigene Tür nicht aufsperren hatte können. Diese Frau musste hinter der Tür gewartet haben. Gelauert auf sie. Und das Baby geschrien. Die ganze Zeit. Während die Frau ihr die Koffer vor die Füße gestellt in ihrer Wohnung. In ihrer eigenen Wohnung das Baby geschrien. Und die Frau keinen Augenblick reagiert darauf. Fortgefahren. Grimmig entschlossen. Und eigentlich hatte sie nur dieses Babygeschrei im Kopf. Und der hatte jetzt ein Kind. Aber verwundert über diese Geschichte war nur sie. Diese Geschichte hatte nur sie erstaunt. Niemand sonst. Bei der Polizei hatten sie sich nicht gewundert. Die Bandion war nicht einmal beeindruckt gewesen. Sie habe schon Scheußlicheres gesehen, hatte sie gesagt. Und der Polizist war erleichtert gewesen. Es sei ja niemand verletzt, hatte er ihr gesagt. Und hatte ihr geholfen, die Koffer ins Auto zu schleppen. Aber die Eva. Die war ja immer ein Arschloch gewesen. Das hatte alles lustig ausgesehen. Was sie so angestellt hatte. Es war das gewesen, was man damals von pubertierenden Mädchen erwartet hatte. Selbstverletzungen. Sie hatte geholfen, diese Selbstverletzungen auf die Spitze zu treiben. Und sie musste kein Mitleid haben. Sie verdankte dieser Person schließlich. Jedes Mal. Fast jedes Mal beim Vögeln. Irgendwann war die Erinnerung aufgeblitzt. Wie sie oben herumgeturnt hatte. Auf der Gritschi. Und gekreischt. »Spreizen. Weiter auseinander. Spreizen.« Da musste sie nicht dankbar sein. Zum Naschmarkt hin das Fahren nur noch schrittweise. Die Hitze im Auto. Sie ließ sich einfangen von der Hitze. Dämpfen. Beschränken. Die Wut in ihr. Die Traurigkeit. Der Zorn. Die Hilflosigkeit. Sie hätte dieser Person nachlaufen können und auf sie einschlagen. Ihr eine Ohrfeige geben. Sie aufhalten. Dieses schlurfende Gehen unterbrechen. Sich vor sie hinstellen. Und ausholen. Aber die Eva so dünn. Aber die Lust groß. Ein Verlangen, dass bestimmte Menschen verschwanden. Nicht mehr existierten. Die Ungarin. Der Anton. Die Eva. Sie wünschte sich, dass die alle einfach nicht mehr waren. Und wenn sie dazu sterben mussten. Dann war ihr das auch gleichgültig. Sie kroch in der Kolonne an der Secession vorbei. Ein Wohlgefühl aus diesen schwarzen Gedanken. Aus diesen Vorstellungen. Ein dunkles Wohlgefühl. Alles innen. Alles innen wieder Platz hatte. Kein Druck. Kein Pulsieren. Keine Fremdkörper, die sich zwischen die Organe drängten. Raum, den Atem auszubreiten. Innen. Ein Singen in der Scheide. Ein winziges Singen. Sie lehnte sich zurück. Legte den Kopf gegen die Kopfstütze. Erschöpft. Plötzlich war sie vollkommen erschöpft. Der Schweiß. Im Genick. Vom Genick ein Tropfen den Rücken hinunter. Brennend. Juckend. Der Rücken bleiern. Die Arme gegen die Schwere da anheben musste. Sie blieb gegen den Sitz gepresst sitzen. Den Kopf gegen die Kopfstütze. Die Zeit. Langsam wurde es eng. Sie musste auf diesen Flughafen kommen. Wenn sie nach London wollte, dann musste sie bald auf diesem Flughafen sein. Der »Pathfinder« war am Naschmarkt in die Wienzeile abgebogen. Ab dem Karlsplatz der Verkehr wieder fließend. Sie fuhr dahin. Automatisch. Ohne Ehrgeiz. Sie hätte sich nicht nach vorne kämpfen können. Sie reihte sich in die Fahrspuren ein. Lange bevor das notwendig war. Sie ließ sich von anderen Autos schneiden. Sie konnte nur fahren. Bei der Unterführung an der Franzensbrücke. Die Müdigkeit hatte sich in eine Starre verwandelt. Sie wusste nicht, ob sie sich überhaupt noch bewegen konnte. Ihr Körper ein Panzer. Rund um sich ein Panzer. Und die Hitze rundherum. Erst auf der Autobahn war es ihr möglich. Sie kurbelte das Fenster herunter. Der heiße Wind. Aber kühler als im Auto. Sie kurbelte das Fenster ganz auf. Und dann begann auch die Klimaanlage zu arbeiten. Eiskalte Luft. Sie schaltete sie auf die Beine. Ihre Füße kalt umweht. Ihr Gesicht im Fahrtwind. Sollte sie bei der Tankstelle gleich beim Abstellplatz für die abgeschleppten Autos ein Wasser besorgen. Es ging ihr sicher nur so, weil sie kein Wasser mithatte. Bei dieser Hitze brauchte man Wasser. Sie schwitzte ja wie ein. Und nur gut. Es war ja doch eine gute Idee gewesen, sich die Schweißdrüsen entfernen zu lassen. Die Jacke wurde nicht verschwitzt. Unter den Ärmeln. Wenigstens diese Handlung des Aufbegehrens gegen die Eltern. Die Mutter entsetzt gewesen. Nur

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