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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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eine Spur geben musste. Von einem. Es ging ihr gut. Es fiel ihr ein, dass sie aus dieser Lähmung heraus war. Dass die Schwerkraft fehlte. Sich verloren hatte. Weil etwas geschah. Sie dachte, dass der Verlust der Schwerkraft damit zu tun hatte, dass etwas geschah. So waren Abenteuer wohl auch eine Beschäftigungstherapie. Mittlerweile. In ihrem Fall. Jedenfalls. Sie dachte darüber nach. Sie saß. Lehnte den Kopf gegen die Wand. Hielt die Jacke vorne. Hielt die Vorderteile der Jacke übereinander. Sie saß in ihre Jacke gewickelt. Die Scham stieg auf, und sie durfte ihre Haltung nicht verändern. Die wohlige Wärme des Angezogenseins wurde zum Zwang, sich noch mehr zu verhüllen. Sie wusste nicht. Konnte sich nicht sagen, welche Haltung schlimmer gewesen war. Schwieriger. Ob es leichter gewesen war, die Menschen zu sehen. Oder nur zu wissen. Ihnen zusehen beim Zusehen. Oder das Zusehen nur wissen. Sie starrte vor sich hin. Sie konnte jetzt nicht hinausgehen. Es wäre sportlich gewesen. Ein objektives Urteil über die Zeichenqualität einer Skizze des eigenen Körpers. Aber auch kalt. Es wäre die Überwindung gewesen. Sie hätte sich damit endgültig zur Verfügung gehabt. Sie hätte damit sogar einen Beweis gehabt, dass sie mit sich. Aber dann hätte sie sich dort eingeordnet, wohin sie kommen sollte. Und wo die alle schon waren. Sich selbst zur Verfügung. Um sich durchschlagen zu können. Ritter. Die waren alle Ritter. Mittelalterliche Ritter. Die übten ihre Techniken. Die lernten, alle Waffen zu beherrschen. Und dann gingen sie an die Wegkreuzung und fochten ihre Duelle. Mit wem immer. Wer daherkam, mit dem wurde. Und mit allen Mitteln. Und wenn es sein musste, dann auch mit Freundlichkeit. Und sie würde auch dahinkommen. Sie würde in die Kurse vom Arbeitsmarktservice gehen und grinsen. Oder sie würde ihre Projekte vortragen. Irgendwelchen Lokalpolitikern würde sie wunderbare Projekte vortragen. Und nichts mehr erwarten als ihr Ankommen. Das Leben war wieder auf Essen und Schlafen beschränkt. Und die Leute da draußen. Helden. Das waren Helden. Eine Rührung stieg ihr auf und sie musste denken, dass sie nun die Täter schön gedacht hatte. Dass sie die Täter zu lieben begann. Aber die Scham war weg. Damit. Es war wieder angenehm. Sie wollte das nicht ändern. Sie wollte sich nichts mehr denken. Zu all dem. Und zu ihren Reaktionen. Sie sollte schlafen gehen. Und der Tommi. Der hatte nun nicht mehr angerufen. Und so war das. Mit diesem Teil der Familie. Die Ungeduld des Vaters fiel ihr ein. Wie er zum Aufbruch drängte. Jedes Mal. Er war im Vorzimmer gestanden und hatte gesagt, man müsse sich beeilen. Sie würden wieder zu spät zu den Hammerlings kommen. Und dort dann. Man müsse nach Hause. Und sie das Unbehagen des Vaters geteilt. Als könnte die Pünktlichkeit das Aussehen der Mutter ausgleichen. Sie hatte sich immer geniert. Für die Mutter. In ihren durchsichtigen Blusen. Ihren engen Kleidern. Die hohen Absätze. Die dunkelroten Lippen. Sie hatte sich für sie geniert, weil sie gedacht hatte, die Mutter wüsste nichts davon. Dass sie so herausfordernd. Aber sie hatte alles gewusst. Natürlich hatte sie alles gewusst. Der Blick. Der unterwürfige Blick zum Vater. Hinauf. Sie den Kopf so vorgebeugt und von unten mit verdrehtem Kopf hinaufgeschaut. Schuldbewusst. Scheu und schuldbewusst. Sie musste den Vater fragen. Oder ging sie da besser zur Sydler. Konnte man den eigenen Vater fragen, ob die eigene Mutter nymphoman gewesen war. Oder noch nicht ganz. Oder nur einfach eine sinnliche Person. Konnte der Vater das wissen. Oder hatte er sich seine Erinnerungen zurechtgeschustert und konnte ihr ohnehin nichts erzählen. Nichts mehr. Weil er es sowieso nie gewusst hatte. Jemand klopfte. Schlug mit der Faust gegen die Metalltür. Selma stand auf. Sie hob die Tasche auf. Dann beugte sie sich noch einmal vor und winkte. Sie winkte dem Schminktisch. Vielleicht hatten sich ja Modelle für ihren Großvater vor diesem Spiegel ausgezogen. Und als Theaterperson. Schminktische. Sie ging zur Tür. Sie lief Miss Greenwood in die Arme. »Ah. Here you are.« sagte die und hielt Selma die Tür auf. Selma bedankte sich. Sie lächelte Miss Greenwood an. Sie gingen nebeneinander um die Bar. Ob sie sie noch auf einen Drink einladen dürfte, fragte Miss Greenwood. Selma nickte. Sie war erstaunt. Ja, sagte Miss Greenwood. Thelma habe sich einen Drink verdient. »You truly earned your drink.« Die Zeichnungen von ihr. Die seien

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