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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Selma fragend an. Sebastian beeilte sich. Er hievte sich am Handlauf hinauf. Zog sich hoch. Er warf sein Gewicht den Beinen nach. In seinem Gesicht wieder die roten Flecken. Er atmete schwer. Er deutete ihr, zu warten. Selma ging ihm entgegen. Er lächelte sie an. Er hob die Schultern. Zog die Schultern hoch. Bei ihr angekommen. Er ließ die Schultern fallen. Er atmete aus. Er entließ die Luft in einem langen Seufzer. Sein Mund. Die Lippen. Leicht geöffnet. Das schmerzliche Lächeln noch in den Mundwinkeln. Er sah zu ihr hinauf. Sie schaute ihm in die Augen. Er schlug die Augen nieder. Seine Hand suchte ihre. Er griff nach ihrer Rechten. Legte etwas in die Hand. Schloss ihre Finger um die Geldscheine. Er behielt ihre Hand in der seinen. Er wolle, dass sie das bekäme. Er müsse sich entschuldigen, dass er nicht gleich reagiert habe. Aber sie wären hier solche Gewohnheitstiere. »We are so damnably set in our ways.« Alle wüssten nämlich, dass man das Honorar gleich zu Beginn verlangen musste. Oder spätestens in einer der Pausen. Selma musste lächeln. Das wäre wie bei den Opersängern. Die großen Geldsäcke in der Pause. Oder es gab keinen zweiten Akt. Das wäre sehr nett von ihm. Sie versuchte die Hand zu öffnen. Sie wollte nachsehen, was er ihr in die Hand gelegt hatte. Er behielt ihre Hand in seinen Händen. Das wäre nur das, was ihr zugestanden habe. Und vielen Dank. Und sie solle wiederkommen. Seine Hände drückten ihre Hand. Schlossen sich fester um ihre Faust mit dem Geld. Warm. Trocken. Weich. Sie sah sein Gesicht von oben. Die klare Stirn. Die gerade kleine Nase. Der genau gezeichnete Mund. Er sah auf die Hände. Dann zu ihr hinauf. Seine Augen waren grünbraun. Oder nur braun. Das Licht von unten. Es reichte nicht aus, die Augenfarbe genau. Sie wollte sich vorbeugen. Ihn auf die Wange küssen. Es schien der logische Abschluss zu sein. Er zog ihre Hand zu seinem Mund. Küsste sie auf den Knöchel des Mittelfingers. Er sah die Hand an, bevor er sie küsste. Suchte sich die Stelle aus, auf die er den Kuss. Selma hielt inne. Sie blieb über ihn gebeugt stehen. Er sah sie an. Während des Kusses. Sie zog ihre Hand aus seiner. Ging hinauf. Er ließ die Hand nicht gleich los. Er hielt sie bis ihr Arm lang ausgestreckt. Bis ihre Arme lang ausgestreckt zwischen ihnen ausgespannt waren. Dann drückte er ihr die Hand noch einmal. »Take care.« sagte er. Und sie solle wiederkommen. Sie wüsste ja, wo er zu finden sei. Dann wandte er sich ab und stieg hinunter. Selma ging hinauf. Ihm zugewandt erklomm sie die Stufen zum Ausgang. Die junge Frau stand draußen. Vor der Tür. Selma beeilte sich, ihr nachzukommen. Sie sah zurück. Hinunter. Sebastian war nicht mehr zu sehen. »Und gib uns unsere Erlösung. In Ewigkeit. Amen.« ging es Selma durch den Kopf. Die junge Frau betrachtete sie. Dann drehte sie sich weg und ging. Ob sie wirklich Thelma heiße, fragte sie Selma im Gehen. Oder ob das der Name sei, unter dem sie Modell stehe. Nein. Das wäre schon ihr richtiger Name. Obwohl sie eigentlich Selma hieße. Auf Deutsch würde dieser Name so ausgesprochen. Ach. Sie käme aus Deutschland. Nein. Aus Österreich. Aber da spräche man auch deutsch. Sie gingen nebeneinander. Sie hieße Sheila, sagte die junge Frau. Selma steckte ihre Hand in die Jackentasche. Verstaute den Geldschein. Es schien doch ein einziger Geldschein zu sein. Er war winzig zusammengefaltet und rollte sich in der Tasche auf. Was die junge Frau mache, fragte Selma. Sie wäre Designerin, antwortete die. Wie das so ginge, wollte Selma wissen. Und ob es da nicht schon sehr spät wäre. Wenn sie am Morgen zur Arbeit musste, wollte sie da wirklich noch in einen Club gehen. Die junge Frau lachte. Das Leben fände doch erst um diese Zeit statt. Und natürlich. Wenn sie zu einem Job gehen müsste, dann würde sie es sich überlegen. Vielleicht. Vielleicht müsste man das dann. Aber sie arbeite frei. Für eine Agentur. Das schon. Aber frei. Von zu Hause. Das wäre gut für sie. Da hätte sie Zeit für solche Dinge wie diese drawing class. Oder schauspielern. Wie in dem Film. Aber das wären alles nur so Projekte. Dinge, mit denen sie ihr Geld verdiente. Denn eigentlich. Eigentlich wolle sie Künstlerin sein. Kunst machen. »I want to make art.« sagte sie und seufzte. Selma hörte zu. Sie fragte. Ließ die junge Frau reden. Sie bemühte sich, nicht zu interessiert zu klingen. Zu überschwänglich. Sie bemühte sich, das Singen aus ihrer Stimme zu halten.

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