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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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    Selling. Kiss and telling.«
    Die Liste ging weiter. War endlos. Selma verstand nichts mehr. Sie war nach vorne gedrängt worden. Sie war dicht umstellt. Dann die Stimme ganz hoch und alleine.
    »You cost me my dignity.
    You cost me my serenity.
    You cost me my propriety.
    You cost me my sobriety.
    My sensitivity. My serendipity.
    You cost me my life.«
    Bei life setzte die band wieder ein. Die schwarze Gestalt warf sich über ihre Gitarre. Dann hüpfte sie nach hinten. Zur Sängerin. Die Sängerin stand auf einem kleinen Podest. Hinten rechts. Sie hatte ein Standmikrophon vor sich. Sie stand ganz still. Ruhig. Sang in das Mikrophon. Sie war groß. Graublonde lange Haare. Sie trug ein Chanel-Kostüm. Der Stoff war weiß und schwarz durchwebt. Die Ränder waren schwarz und silbern abgesetzt. Weiße Knöpfe mit Goldrand. An den Taschen und an den Jackenärmel die Borte und die Goldknöpfe. Die Frau trug eine hellrote Seidenbluse unter der Jacke mit einem Maschenkragen. Die Masche hing vorne über die Jacke. Wie ein Jabot. Schwarze Slingpumps. Sehr hohe Absätze. Die Gitarristin sprang zu ihr auf den Podest und sang den Refrain mit. Sie wiederholten den Refrain. Dann sprang sie wieder herunter. Lief an den Bühnenrand. Und wieder die gejagte, jagende Musik. Der drängende Rhythmus. Der Zwang, sich bewegen zu müssen. Selma begann, den Kopf mit der Musik. Sie fand sich im Takt nicken. Heftig mit dem Kopf zu nicken. Der Refrain war zum Kreischen geworden. Alle schrien mit. Alle reckten die Arme. Schlugen mit den Fäusten in die Luft. Dann ein Spinett. Eine Barockphrase. Die Stimme. Vorschlagend. Bittend. Freundlich drängend.
    »Little girl. Promote yourself.
    Rip out your ribs.
    Bust up your tits.
    Cut in. Cut out. Cut up.
    Promote yourself. Little girl. Promote yourself.«
    Alle sangen mit. »Cut in. Cut out. Cut up.« Die Sängerin lachte wieder. Die Sängerin war keine junge Frau. Sie stand hinten. Sie sah von hinten ihrer Band zu. Dem Publikum. Sie stand in ihren high heels ganz ruhig da. Sie bewegte sich nicht. Nur ihre Stimme. Sie schickte ihre Stimme über die Bühne in das Publikum. Eine süße Stimme war das. Nicht jung. Es war eine wissende Süße. Tröstend. Eine wiedergefundene Süße. War das mütterlich. Selma stand in der Stimme. Sie hatte ein großes Verlangen, sich dieser Stimme mitzuteilen. Mit dieser Stimme mitzugehen und ihr alles zu erzählen. Die Frau, deren Stimme. Diese Frau sah nicht mütterlich aus. Nicht ein bisschen. Sie sah kühl aus. Wirkte kühl und unbeteiligt. Abweisend. Eigentlich. Und nur die Stimme eine Verführung. Die Stimme mehr von der Frau, als sich zeigte. Als die Frau sehen ließ. Selma hätte alles gestanden. Dieser Frau hätte sie alles gestanden. Selma nahm die Tasche ab. Stellte sie zwischen ihre Füße. Klemmte die Tasche zwischen ihre Schuhe. Sie pfiff. Sie pfiff mit den Fingern. Sie hatte das lange nicht gemacht. Aber es ging. Sie konnte es noch. Und mit jedem Pfiff wurde sie besser. Dann kam wieder eine leisere Stelle. Die Sängerin sagte wieder den Satz, dass die Dinge, die heute gehasst würden, die sein könnten, die morgen notwendig würden. Die morgen gemacht würden. Die das kleine Mädchen, das dann nicht mehr das kleine Mädchen sein würde. Die das kleine Mädchen machen würde. Machen müsste. Machen wollte. Machen gemacht werden würde. Machen gemacht werden wollte. Alle schrien die Liste dieser Dinge mit. Selma pfiff im Rhythmus. Mit dem linken Arm schlug sie den Rhythmus in die Luft. Die Sängerin nahm das Mikrophon. Sie trug das Standmikrophon in der rechten Hand. In der Linken hatte sie eine brennende Zigarette. Sie ging nach vorne. Sie ging ohne jede Bühnenhaltung. Sie ging einfach. Stellte das Mikrophon vorne rechts auf. Stellte sich dahinter. Ihre Bewegungen waren linkisch selbstverständlich. Ohne jede Konzession an die Zuschauerinnen. Ohne Pose. Die Frau beugte sich über das Mikrophon. Sah zu Boden. Wartete. Tippte den Takt mit der Schuhspitze.
    »Fuck your father.
    Rape your mother.
    Rip open their guts.
    Mix entrails and hearts.
    Do unspeakable acts.
    But take. But take. But take.
    Please. Little girl. Please little girl.
    Whatever you get on the road to menopause.«
    Die Stimme hatte alle Süße aufgegeben. Die Sängerin sang tief aus der Brust. Stieß die Sätze aus. Hart. Sie stand über das Mikrophon gebeugt und stieß die Sätze von oben in das Mikrophon. Warf die Befehle aus ihrer Brust in die Lautsprecher. Bei »Fuck your

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