Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
Vom Netzwerk:
Klammerte sich an die riesige Türklinke. Sie zog Selma durch die Tür und ließ die Tür sich schließen. Hinter ihnen. Die Türklinke schnappte zu. Musik tobte um sie. Laute, alles übertönende Musik. Der Bassrhythmus. Sheila bewegte sich sofort nach dem Bassrhythmus. Tänzelte im beat der Bassakkorde. Sie standen in einer Eingangshalle. Eine breite Stiege führte zu einem Stiegenabsatz und teilte sich dort in 2 schmalere Stiegen. Über dem Stiegenaufgang ein großer Luster. Auf Metallringen waren Kugeln angebracht. Die Ringe stapelten sich zu einem Kegel. Die Glaskugeln rot. Rot glühend. Das Licht fahlrosig. Auf der Stirnwand. Über dem Stiegenabsatz. Ein riesengroßes Ölgemälde. Ein Porträt. Im Stil von Singer Sargent. Ein Frauenporträt. Frauenporträts. In der Halle auf dem Bild »The Daughters Edward D. Boit«. Es standen alle Mädchen des Singer-Sargent-Bilds vorne aufgereiht. Sie standen alle im Licht. Vorne. Bei ihrer kleinen Schwester. Sie hielten einander an der Hand. Auch das große Mädchen. Das in seinem weißen Kleid mit den schwarzen Strümpfen und Schuhen im Schatten der riesigen Vase gestanden hatte. Im ursprünglichen Bild. Sie stand vorne. Im Licht. Sie hielt ihre kleinste Schwester an der Hand. Sie sah aus dem Bild heraus. Neben der blonden Kleinsten stand Minnie Mouse. Sie war so groß wie das älteste Mädchen. Minnie Mouse lächelte. Verschmitzt. Die beiden anderen Mädchen neben ihr. Alle hielten einander an den Händen. Selma hatte den Namen nicht richtig verstanden. Das war der Minnie-Club. Und nicht der Mini-Club. Neben dem Stiegenaufgang stand ein Tisch. Eine Frau. Sheila ging hin. »White Rabbit and a guest.« sagte sie. Sie musste es laut sagen. Wiederholen. Die Frau tippte etwas in ihren laptop ein. Sie sah Selma fragend an. Selma griff in ihre Jackentasche und hielt den Geldschein hin. Die Frau nahm ihn. Verstaute ihn in einer kleinen Metallschatulle. Sheila war schon vorausgegangen. Die Stiegen hinauf. Selma verharrte. Bekam sie ein Ticket. Einen Stempel auf den Handrücken. Die Frau hinter dem Tisch sah nicht mehr auf. Schaute wieder in ihren laptop. Selma ging zu den Stiegen. Blieb stehen. Sie schaute das Bild an. Schaute in den Luster hinauf. Sie legte den Kopf ins Genick. Die roten Lichtkugeln ineinander gestapelt. Den großen Kreis des untersten Rings ausfüllten. Selma begann hinaufzusteigen. Was für eine location, dachte sie. Es gab nichts als die Stiegen. Die weiße Marmorbalustrade. Im Schwung des Stiegenlaufs. Die Wände hell. Kein Ornament. Nur das großformatige Bild. In sich beleuchtet. Aus der Nähe war zu sehen, dass die Hände der Mädchen fest ineinander verflochten waren. Minnie war gentrified. Sie trug ein schwarzes Reitkleid. Einen Reitzylinder mit schwarzem Schleier. Zu ihren Füßen lag eine Reitgerte auf dem Steinboden der Säulenhalle. Die großen Mädchen schauten ernst. Sahen sie an. Sahen ernst und fragend aus dem Bild. Minnie und das blonde kleine Mädchen lachten. Selma bog nach links. Die Musik wurde noch lauter. Der Bass. Selma spürte, wie ihr Herzschlag einen anderen Rhythmus als der Bass. Oben. Ein Vorplatz. Eine Doppeltür. Eine breite Doppeltür. Niemand da. Die Musik. Selma drehte sich um. Das Bild hinter dem Luster. Hinter den ersten beiden Stockwerken des Lichtkugelkegels. Plötzlich war Selma das alles zu. Das war zu seltsam. Das Licht. Die Musik. Dieses Bild. Sie fühlte sich allein. Allein gelassen. Fremd. Sie war fremd. Fremd und allein. Sie gehörte nicht hierher. Sie kannte hier nichts. Sie kannte hier niemanden. Niemand kannte sie. Ein Widerwille stieg ihr auf. Das war doch alles blöd. Das war doch alles seltsam. Und sie hatte keine Berechtigung. Wenn sie ein Ticket bekommen hätte. Einen solchen Stempel. Dann hätte sie etwas vorweisen können. Sie hatte nichts. Und ihre dumme Tasche. Diese unmodische Tasche. Niemand in der ganzen Welt ging noch mit so einer Tasche herum. Businesswoman, dachte sie. Powerwoman be blasted. An ihrer Tasche konnte man ihr Alter ablesen. Und ihre Probleme. Jeder, der ihre Tasche sah. Der sie sah, wie sie ihre Tasche umklammert hielt. Unter die Achsel geklemmt. Man konnte ihre ganze Geschichte ablesen, wenn man sie mit dieser Tasche sah. Sie stand da. Der Bass war leiser geworden. Das Stampfen vorsichtiger. Sie schob die Tasche auf den Rücken. Sie zog die Riemen nach vorne und schob die Tasche mehr nach hinten. Sie hatte Angst. Sie hatte vollständige Angst vor dieser Tür. Vor dem Eintreten. Durch

Weitere Kostenlose Bücher