Entfernung.
father.« begann das Gejohle. Der Tumult war so laut wie die band. Der Rhythmus fuhr zuckend zwischen die Sätze. Stimme und Schlagzeug. Stimme und Bassgitarre. Das Publikum. Selma sprang mit hoch. Sie hatte ihre Linke zur Faust geballt und schlug mit der Faust in die Luft. Sie pfiff im Rhythmus. Sie wurde von den Frauen rund um sie angefeuert. »Fuck your father.« Sie pfiff. Dreimal lang. Einmal kurz. Die anderen Frauen klatschten. Die Sängerin stieß die Worte von sich weg. In Befehlsform. Aber mit der tiefen Stimme der Rhapsodin. Nicht im Falsett des Kasernenhofs. Selma sprang. Reckte die Faust. Pfiff. Sie keuchte. Sie war vollkommen in die Musik aufgelöst. In ihre Reaktion auf die Musik. Diese Stimme. Und diese Stimme. Diese Stimme wollte sie selbst sein. Die Reichweite dieser Stimme. Die Selbstgewissheit dieser Gestalt. Die Akkorde sammelten sich. Fielen ineinander. Ein crescendo. Ein winziges Gitarrensolo. Eine Arabeske. »Thank you.« Die Sängerin stand einen Augenblick über das Mikrophon gebeugt. Sah auf. Sie nahm das Mikrophon wieder auf. Sie trug es zurück. Nach hinten. Als räumte sie auf. Machte Ordnung. Dann ging sie nach rechts. Sie sah sich nicht um. Verbeugte sich nicht. Sie verlässt uns, dachte Selma. Sie pfiff mit den anderen. Schrie nach einer Zugabe. Die anderen band-Mitglieder verbeugten sich. Immer wieder. Dann ging das Licht auf der Bühne aus. Das Publikum. Die Frauen zerstreuten sich. Verteilten sich im Raum. Selma suchte nach ihrer Tasche. Sie war auf der Tasche herumgesprungen. Die Tasche war flach getreten. Schmutzig. Selma überlegte, ob etwas zertreten sein könnte. Die Füllfeder. Das Parfüm. Sie hob die Tasche auf. Hielt sie vor sich hin. Schaute, ob es irgendwo heraustropfte. Eine Frau sah ihr zu. Sie hatte lange rotorange Haare. Sie war nicht ganz jung. Sie sahen beide die Tasche an. Selma zuckte mit den Achseln. Die Frau nickte. »Unsalvagable.« stellte sie fest und nickte wieder. Selma wollte sie fragen, wie die band hieße. Sie wollte sagen, dass sie nur zufällig in dieses Konzert gekommen wäre und nichts über die band wüsste. Dann sah sie einen Tisch links. Gleich neben der Bar. CDs lagen aufgestapelt. Selma klopfte ihre Tasche ab und ging hinüber. »Dickopraphia.« Und »The Little Girl’s Guide.« stand auf den CDs. Der Name der band war »The Singing Tampons«.
22
»Are you a fan?« Die rothaarige Frau war nachgekommen. Selma konnte sie hinter sich stehen fühlen. Rechts hinter sich. Sie fragte über Selmas Schulter hinweg. Sah über ihre Schulter auf den Berg von CDs und T-Shirts auf dem Tisch. Es war heiß. Selma war verschwitzt. Sie war noch immer außer Atem. Sie ging näher an den Tisch. Duckte sich von der Frau weg. Sie lehnte die Tasche an das Tischbein vor ihr. Die Tasche blieb nicht mehr stehen. War nicht mehr aufzustellen. Die Tasche war formlos geworden. Die Tasche war zu einem Beutel zerstampft. Das Herumspringen hatte das Leder weich gestampft. »I would think so.« sagte Selma und zog die Jacke aus. Sie schlang die Jacke um die Hüften. Band die Jacke mit den Ärmeln um die Taille. Sicher, sagte sie. »Sure.« Wäre sie ein Fan dieser Gruppe. Sie doch auch, fragte sie die Frau neben sich. Sie wäre jedenfalls so gefangen genommen gewesen. Sie hätte total vergessen, diese Jacke auszuziehen. Sich dieser Jacke zu entledigen. »Get rid of this jacket.« Selma schüttelte den Kopf über sich. Die Frau nickte wieder. Sie wüsste, was Selma meine. Aber sie wäre nicht mehr jung genug, so wild enthusiastisch zu reagieren. Und sie warte gerne ab. Sie warte gerne auf den zweiten Auftritt. Die meisten bands wären doch wirklich nur das erste Mal gut. Und sie hieße Claudia. Und ob sie nicht zusammen etwas trinken wollten. Selma sah sich um. Sie musste wegschauen. Der vorwurfsvolle Ton dieser Frau. Sie wollte nicht über das Konzert reden. Nicht in so. So herablassend. Sie wollte es gut finden. Einfach gut. Selma schaute sich um. Vor der Bühne standen kleine Gruppen. Die meisten Frauen waren an die Bar gegangen. Hatten sich nach links hinten zurückgezogen. In großen Gruppen. Zu zweit. Einzeln. Selma sah Sofas hinten. Clubsessel. Auf der anderen Seite. Es wurde geredet. Gelacht. Gläser klirrten. Der Lärm stieg an. Ebbte ab. Wurde von einem hellen Lachen getragen wieder lauter. Selma sah sich um. War Sheila noch da. Sie hätte sich gerne bedankt bei ihr. Verabschiedet. Und sie war Publikum. Sie war ins Publikum zurückgesunken. Als professionelle Person
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