Entfernung.
hätte sie so ein Gespräch geführt. Dass man abwarten musste, was jemand beim zweiten Mal bringen würde. Aber sie war kein Einkäufer mehr. Das war nicht mehr ihre Rolle. Sie kaufte nichts mehr ein. Verkaufte nichts mehr weiter. Sie konnte eintauchen. Sie musste eintauchen. Und die Verlustrechnung. Die Verluste immer noch größer. Diese Frau hatte sie daran erinnert. Und diese Frau. Der Ärger stieg über die Kehle hinauf. Diese Frau war ein Bündel von Problemen. Die sie sich anhören würde müssen. Sie sah die Frau an. Ein Berg von Problemen, dachte sie und genoss ihre Überlegenheit. Die Überlegenheit ihrer Gestalt. Ihrer Schlankheit. Dann lächelte sie die Frau an. Vielen Dank, sagte sie. Aber sie müsse ins Hotel zurück. Und ob ihr Claudia sagen könne, wie man von hier wegkäme. Sie müsse nach Russell Square. Nach Bloomsbury. Die Frau strich sich die langen Haare aus dem Gesicht. Legte die Haarbündel über die Schultern nach hinten. Sie fing die Haare zusammen und türmte sie auf dem Kopf auf. Sie drehte die Haare hinauf. Ließ sie los. Einen Augenblick. Die orangerot glänzenden Haare formten einen perfekten french twist. Krönten das klare Gesicht mit den großen runden Augen. Dann lösten sich die Strähnen und rutschten in weichen Wellen über die Schultern auf den Rücken zurück. Für die Nachtbusse müsse man nur einfach nach rechts hinuntergehen. Die Haltestelle. Man könne die Haltestelle nicht übersehen. Die Haltestelle sei nicht übersehbar. Die Frau sprach schon im Weggehen. Mit den Haaren über die Schultern hängend. Sie sah wieder mausig aus. Massig mausig. Die hochgetürmten Haare hatten sie vollkommen verwandelt. Selma hob ihre Tasche auf. Sie stand da. Umarmte ihre Tasche. Hielt die Tasche vor dem Bauch umfangen. Sie war müde. Es musste spät sein. Sie hatte ihre Uhr sicher niedergetrampelt. In der Tasche. Mit der Tasche. Sie hätte etwas trinken mögen. Aber nicht mit dieser Frau. Die sehr ökonomisch gleich weitergegangen war, weil sie nicht gleich. Aber sie musste zurück. Sie konnte nicht. Nicht so lange. Nicht mehr so lange. Die Zeit, in der die Nächte durchgemacht worden waren und am nächsten Tag ins Büro. Das konnte sie nicht mehr. Das hatte sie auch nicht mehr müssen. Sie war ja versorgt gewesen. Dann. Sie hatte nicht mehr suchen müssen. Sie hatte dann die Suche nach Sexualpartnern. Die hatte sich dann ja erledigt gehabt. Dieses Durch-brodelnde-Lokale-Ziehen und Sich-Umschauen. Und dann brodelte ohnehin nur der Alkohol. Hatte nur der Alkohol die Nächte vorangetrieben. Nächte durch. Jemanden aufreißen. Sich einen mitnehmen in der Hoffnung, dass er sich am Morgen als nicht so schreckliche Wahl herausstellte. Sie hatte das verlernt. Und sie war nicht mehr jung. Sie dachte, dass sie das jetzt denken konnte. Ohne Bedauern. Einfach so. Zur Kenntnis genommen. Und dann bedauerte sie diese Härte. Diese sehnsuchtraubende Härte. Dass sie sich selbst in diese Kategorien stieß. Dass sie keinen Versuch mehr unternahm, sich etwas anderes abzuverlangen. Dass sie nicht einmal mehr dachte, dass das alles für sie nicht zutraf. Dass sie nicht alt werden würde. Dass sie mehr wollte. Etwas anderes. Sie war sich selbst nichts Besonderes mehr. Das war das Ergebnis bisher. Ihres bisherigen Lebens. Und sie musste ihre Fähigkeiten. Sie musste alles, was sie konnte. Das musste sie auf ihr Leben anwenden. Nicht mehr in einem Beruf. Auf die Welt. Es ging um sie. Nur noch um sie. Und gegen die Welt. Und nicht mehr jung. Ein Zustand und kein Entkommen. Der Strom des Lebens, dachte sie. Sie lächelte die Frauen hinter dem Verkaufstisch an. Sie ging. Sie kaufte keine CD. Sie wusste nicht, wie viel die Fahrt zum Hotel kosten würde. Und mit einer europäischen Bankomatkarte. Man bekam nicht an allen Automaten Geld. In England. Sie wollte nicht von einem Bankomaten zum nächsten laufen müssen. Um diese Zeit. Oder sie würde wieder in einem Taxi gefangen genommen. Diesmal, weil sie nicht genug cash hatte. Sie ging zur Tür. Sie sah sich nach Sheila um. Konnte sie nicht finden. Sie sah die rothaarige Frau an der Bar. Sie sprach mit einer kleinen dunkelhaarigen Frau. Ist das ihr Typ, fragte sie sich. Warum lehnte sie diese Frau so ab. Nur weil sie offenkundig nicht so begeistert von den »Singing Tampons« gewesen war. Nicht so begeistert wie sie. Oder weil sie so dick war. Aber sie wäre zu müde gewesen. Sie sagte sich das vor. Sie wusste, dass sie sich das einredete. Sie war müde. Aber sie
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