Entfernung.
ihren Kaffee und das Croissant holen. Im Gehen schalt sie sich für ihre Mittelstandshöflichkeit. Dass sie nicht in der Lage war, ihre Bedürfnisse durchzusetzen. Dass sie nicht sagen konnte, dass sie allein sein wollte. Allein sein musste. Sie kehrte zurück und setzte sich hin.
24
Der Kaffee war zu heiß. Selma wollte einen Schluck trinken. Aber der aufsteigende Dampf ließ sie den Becher abstellen. Sie beugte sich neben den Sessel. Stellte den Becher vorsichtig zwischen zwei Grasbüschel. Die Sessel am Rand der Wiese. Der Weg hinter den Büschen. Die Sonne von schräg hinten. Einzelne Strahlen silberschimmernd auf den dunkelgrünen Blättern und den weißen Blüten. Selma dachte, dass der Busch wie eine Art Jasmin aussah. Aber fester. Die Blätter dicker. Die Blüten fleischiger. Der Geruch verwandt. Sie biss in das Croissant. »This is the best time of the day.« sagte die Frau. Selma sah sie an. Sie war sehr alt. Es war nicht gleich zu sehen. Die Frau war schlank. Sie trug dunkelblaue Hosen. Eine weiße Bluse mit langen Ärmeln. Wie eine Jacke. Ihre Haare waren grauweiß und so geschnitten, dass es aussah, als hätte sie die Haare hoch gesteckt. Das Gesicht schmal. Die Nase groß. Scharf. Eine Adlernase. Die Haut durchfurcht. Hell. Aber die Furchen und Falten erst aus der Nähe zu sehen. Die Linien unzerstört. Die Umrisse des Gesichts. Der Mund. Die Augen. Die Brauen. Die Falten hatten nichts verzogen. Die Frau saß aufrecht. Die Beine übereinander geschlagen. Sie hielt einen Thermosbecher in der Hand. Sah auf die Wiese hinaus. Selma nickte. Sie konnte nicht sprechen. Das Croissant. Sie versuchte wieder den Kaffee. Der Kaffee war immer noch zu heiß. Selma zog die Mineralwasserflasche aus dem Seitenfach des Rucksacks und goss Wasser zum Kaffee. Die Frau sah ihr zu. Dann nickte sie. Ihr ginge es so mit dem Tee, sagte sie. Das wäre nur natürlich. Sie sei ja Engländerin. Aber sie wüsste genau, wie sich das anfühlte. »The need for your poison.« Selma trank vom Kaffee. Die Kohlensäure des Mineralwassers machte einen bitteren Geschmack. Einen noch bittereren. Selma seufzte. Die alte Frau sah auf die Wiese. Sie nippte an ihrem Becher. »I could not believe my husband would have a row with anybody.« sagte sie. »I don’t want to make him sound like a saint. That would be awful. But he has a very special nature. You know. Unfortunately he is not at all well now. It’s very sad. Though he is much better than he was. He was in the hospital for 12 weeks now. An absolute nightmare. You can imagine. Oh. And he resolutely refused to eat. All that time he wouldn’t eat a thing. You know, he was just a skeleton and they were not hopeful at all. They did not encourage me to get him home. But I was determined to get him home. I thought that once I got him into familiar surroundings. But it did work. It was a risk and it worked. It took quite some time. He came home in January and now he is rational and he is mobile, but he can’t deal with anyone but me. Not at all I’m sorry to say.« »How old is he.« fragte Selma. »Well. He is into his 97th year. That in itself does not account for it. But it contributes and it was something that was coming on for a long time. Gradually he was getting less and less able to cope. I think he had so many problems in his life so that he suddenly could not take any more. He conducted a great deal during the war and afterwards of course and toured all over the world and was very successful all the way. But then he had to retreat from music. So that was that. And with being an exile. Some things are hard to understand. You know.« »Why was that.« fragte Selma. »Why was what?« Die Frau trank aus ihrem Becher. Sie hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Hielt den Becher auf den linken Arm aufgestützt. »He was a Jew of course.« Selma schüttelte den Kopf. »I meant why he had to retreat from music.« »Same answer.« sagte die Frau. Sie schaute hinaus. Selma nickte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Wenn jetzt die Frage kam, woher sie stamme. Und sollte sie sagen, wie Leid ihr das tue. Sie solle nicht so seufzen, sagte die alte Frau. »No need to sigh like this. Whatever this all means. This is the best part of the day.« Selma murmelte ihre Zustimmung. Sie trank den bitteren Kaffee. Kaute am ledrigen Croissant. Sie schaute in die gleiche Richtung wie die alte Frau. Die weite Wiese. Die hohen Bäume. Die Büsche rundum. Hinter den Büschen die hohen Lanzen des
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