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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Morgenfrische verstärkt. Das Gehen. Der kurze Schlaf. Die kühle Luft. Sie ging rasch. Es gab keine Reaktion. Offenkundig gab es keine Reaktion. Die Frage war eher, wann ihr Superego sich von ihrem Unterbewusstsein verabschieden würde. Unberechenbar, wie diese Reaktionen waren. Sie hatte gedacht, die Welt würde untergehen. Wenn dieses Projekt nicht zustande kam, dann würde die Welt vor ihren Augen wegkippen. Zurückgelassen. Grenzenlos allein. Unverstanden. Niemandem mehr verständlich. Ihre Not niemandem mehr mitzuteilen und alle ja auch längst gelangweilt. Und dann. Die Verbindungen innen. Die Verbindungen in ihr reißen würden. Aber es war nichts gerissen. Das Problem war eher andersherum. Sie musste sich über sich wundern. Wieder einmal. Sie war erleichtert. Wenn sie genau in sich sah und sich zuhörte. Sie war erleichtert. Und sie konnte das nur hinnehmen. Sie konnte sich nur hinnehmen. Im Augenblick war sie erleichtert. Über ihre Erleichterung. Aber was bedeutete das. Sie konnte diesen Teil abschließen. Diesen Teil ihres Lebens. Selma Brechthold. Kulturmanagerin. Spenderin von Aufruhr und Kitzel. Befriederin postbürgerlichen Unruhepotenzials. Sprengmeisterin der männlich atavistischen Gottsuche. Die gab es nicht mehr. Arme Sarah Kane. Sie hatte ihr keine Anwältin sein können. Keine Verteidigerin. Selma sah zu Boden. Der Gehsteig rot. Ziegelrot. Dunkelrot vom Wasser. Eine kleine Person war die gewesen. Sarah Kane. Und Gilchrist hatte sie wie ein Baby behandelt. Er hatte verhandelt über sie und wie sie dann aufgetaucht war. Im Café Sacher. Da hatte er sie auf die Kärntnerstraße geschickt. »To look around.« Wie man ein Kind zum Spielen wegschickte. Und sie hatte mitgemacht. Sie hatte mit Gilchrist verhandelt. Sie hatten abgewogen. Eingeschätzt. Sie waren Kleinhändler gewesen. Und es war richtig und es war nicht richtig gewesen. Aber dass sie beide verschwanden. Das war richtig. Weil sowieso nichts richtig war. Und sie hätte damals. Sie hätte nicht zusehen dürfen, wie jemand so behandelt wurde. Und sie hätte diesen Mann nicht sagen lassen dürfen, dass diese Frau das so bräuchte. Diese Frau war ein Jahr später tot gewesen. Und wenn sie so. So weiter. Sie ging. Es war niemand auf der Straße. Sie ging auf das Ende der Straße zu. Die Häuser vorne ein Tor bildeten. Eine Durchfahrt. Bedford Place abschlossen. Auch nur ein Gefängnis, dachte sie. Eine »Desperate Housewives«-Szenerie. Statt der Gartenarbeit in den Vorgärten als dramaturgisches Mittel, die Figuren aufeinander treffen zu lassen, musste man hier ein Oscar Wilde’sches timing anwenden. Die Abfahrt nach Ascot. Die Abfahrt zur Gardenparty in Buckingham Palace. Die Abfahrt des einen Paares zur Erhebung in den Adelsstand und die Beobachtung durch die Erzfeindin. Die müsste dann in einem dieser Fenster oben. Im Erker stehen. Und man könnte Stella McCartney oder Paul Smith als Ausstatter nehmen. Alles könnte sich an der »My-Fair-Lady«-Verfilmung aus den 60ern orientieren. Und viele Identitäten wären gerettet. Könnten sich retten. Sie ging. Sie wünschte sich eine Einfachheit. Aber sie wusste, dass sie sich das als Film wünschte. Und dass das Problem war. Sie hatte für sich keine Vorstellung als Volumen in der Welt. Sie konnte sich alles nur zweidimensional und in Perspektive gefaltet vorstellen. Deshalb musste sie auch nichts essen. Ein Bild brauchte keine Nahrung. Sie ging zwischen den enger stehenden Häusern am Ende der Häuserzeilen durch. Ging auf das Grün des Parks zu. Eilte auf das Grün des Parks zu. Sie lief vor einem einbiegenden Auto über die Straße. Geriet vor ein anderes. Sie hatte die Linksfahrregelung vergessen. Der Fahrer hupte sie an. Sie wollte sich ihm zudrehen. Ihn beschimpfen. Sie war wütend. Es ging ihr alles auf die Nerven. Hier. Der Luxus dieser Häuser eben. Die Uniform des Chauffeurs. Die Goldtressen auf seiner Chauffeursmütze. Der lächerliche Hut der Frau. Diese links fahrenden Autos. Konnten die nicht einfach wie alle. In der gesamten zivilisierten Welt. Sie stürmte in den Park. Die Wiese in der Mitte. Bäume weitausladend über der Wiese. Schatten. Hohe Büsche den Park nach außen abschirmten. Blühende Büsche. Blühende Blumen. Am Rand. In der Wiese. Das Gras smaragdgrün. Auf der anderen Seite. Sessel und Tische. Eine Cafeteria. Selma atmete auf. Ein bisschen Natur und es ging ihr besser. Mit ihren Empfindlichkeiten. Mit ihren so gesteigerten Empfindsamkeiten. Sie kam mit Natur

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