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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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schmiedeeisernen Zauns. Rund um den Platz die Häuserzeilen. Hellgrau mit hohen Fenstern. Stufen zu den Eingängen hinauf. Die Fenster in der Sonne glänzend. Das Grün funkelnd. Ein leichter Hauch trug den Duft der Blüten zu ihnen. Selma holte tief Luft. Es war vielleicht doch nicht Jasmin. Der Duft nicht ganz so süß. Sie sah die alte Frau an. Die wandte sich ihr zu. Sie lächelte sie wieder an. Die alte Frau lehnte sich wieder zurück. Schaute vor sich hin. Selma musste daran denken, dass so ein Park. Dass so ein Stück Natur. Dass das das letzte Stück Natur sein konnte, das jemand zu sehen bekam. Die Tante Hertha. Wie sie gesagt hatte, dass das ihre letzte Fahrt durch einen Wald sein würde. Bei der Fahrt über den Schottenhof. Zum Hitzinger Friedhof. Und wie ungeheuerlich es war, dass alles in der einen Sprache gesagt werden musste. Dass es keine andere Sprache gab. Für solche Sätze. Für den Satz »Das wird meine letzte Fahrt durch einen Wald sein.« »Das ist meine letzte Fahrt durch einen Wald.« »Das war meine letzte Fahrt durch einen Wald.« Und dann wenigstens ein schöner Wald gewesen war. Der Wienerwald da. Die Buchenstämme silbern vor dem lichten Gras und dem Goldbraun der Blätter. Am schönsten natürlich im Winter. Schwarz und weiß. Die Baumstämme im Schnee. Ihr handy läutete. Sie erschrak. Sie riss den Rucksack auf. Holte die Tasche heraus. Rollte die Tasche auf. Das Läuten ging weiter. Sie wollte das nur abstellen. Sie stand auf und ging davon. Sie ließ den Kaffee stehen. Ihr Wasser. Sie wollte nur weg. Die alte Dame nicht stören. Dieses Klingeln. Sie genierte sich für dieses insistente Schellen. Es war frivol. Es war peinlich. Sie ging auf den Weg hinaus. Hinter die Sträucher. Das handy war in der Hülle. Die Töne des handys wurden immer lauter. Sie schälte das Gerät aus der Hülle in der Tasche. Sie drückte auf Annahme. »Was?« fauchte sie in das Gerät. Sie hatte angenommen, ihr Vater. Der ihr von einem Telefonat berichtete. Von dem er glaubte, dass es wichtig war. Für sie. Oder dass er ihr sagen wollte, dass der Tommi. Dass der sie erreichen hatte wollen. Und dass er die Nummern weitergegeben hatte. Und ob das o.k. wäre. Am anderen Ende eine Männerstimme. »Ich kann dich sehen.« Selma stand still. Sie ließ den Rucksack und die Tasche zu Boden gleiten. Sie schaute um sich. Was das solle. Es war ihr Vetter Tommi. Was er wolle. Und es wäre doch ein bisschen teuer so. Sich über Satelliten unterhalten. Und wo er stecke. Sie könne ihn nicht sehen. »Ich sehe dich ganz genau.« sagte der Mann. »Du hast deinen dunkelblauen Hosenanzug an und schaust schon wieder sehr businesslike aus.« Sie sah ihn. Er kam über die Wiese. Es war unvermeidlich. Sie konnte nur noch flüchten. Richtig flüchten. So, dass er es begreifen musste. Und sie hatte sich ja nur verstecken wollen. Sie legte auf. Sammelte ihre Sachen auf. Sie ging um das Gebüsch. Die alte Frau stand gerade auf. Sie lächelte freundlich. Selma stand da. Sie hätte gerne etwas gesagt zu dieser Frau. Etwas, was ihr Verständnis ausgedrückt hätte. Sie hätte gerne den gemeinsamen Blick auf diese Wiese und die Platanen darauf beschrieben. Und dass sie das in Erinnerung behalten würde. Sie hätte gerne geschrien, dass sie nicht schuld war. Dass sie nichts dafür konnte. Dass sie unter den Schrecklichkeiten auch litt. Gelitten hatte. Dass es in ihrer Familie genauso Spuren gab. Fürchterliche Spuren. Dass das alles nicht so sein sollte. Dass nichts so sein sollte. Dass alles unerträglich war. Nicht zu ertragen. »Then the best for your husband.« sagte sie. Sie sah der alten Frau in die Augen. »And I apologize for the intrusion.« »You were nice company.« sagte die Frau und ging. Sie ging davon. Sie trug den Thermosbecher vor sich. Am Henkel. Sie ging aufrecht. Sie ging um den Busch davon. Tommi stand daneben. Ob er etwas unterbrochen habe, fragte er. Selma setzte sich hin. Sie nahm den Kaffee vom Boden. Sie konnte nichts sagen. Sie musste den Kaffee austrinken, bis sie ihre Fassung wieder gefunden hatte. Der Mann hatte sich in den Sessel der Frau gesetzt. Er stand wieder auf. Er wolle auch einen Kaffee. Er ging davon. Selma starrte auf die Wiese vor sich. »Schwarz.« sagte sie vor sich hin. »Schwarz.« »Was meinst du.« fragte Tommi. Er kam mit zwei Bechern Kaffee um den Busch. »Mein Hosenanzug ist schwarz.« sagte Selma. Er habe ihr auch einen Kaffee mitgebracht. In seiner Jackentasche stecke der Zucker. Wenn sie

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