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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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besser aus. Sie ging den äußeren Weg. Bänke unter Büschen. Versteckt. Ein Mann in einem dunkelblauen Overall sammelte Bierdosen aus einer solchen Buschnische. Sie stieg auf das Gras. Lehnte sich gegen die Platane. Stützte sich mit der Platane. Die Freude. Die Beruhigung. Alles stürzte in die Wut von vorhin und stieg als Angst wieder auf. Die Angst, die sie so irgendwie immer schon hatte. Wenn wieder ein Stück Feld oder ein Wäldchen gegen den Flughafen in Wien verbaut worden war. Wenn zuerst die hohen Strohhaufen aufgerichtet worden waren und Plakate darauf befestigt. Fluglinien. Baufirmen. Banken. Versicherungen. Die Strohaufbauten Containern wichen. Container hochaufgetürmt und Straßen rund um sie. Dann Baracken. Blechbaracken. Und dann Betonbauten. Silos. Lagerhallen. Jede Fahrt zum Flughafen das Weiterfressen. Das Wegfressen von Landschaft. Natur. Wenigstens die Jahreszeiten abzulesen. Und alle Vögel da leben hatten können. Wie schnell man sich an den Verlust der Amseln gewöhnt hatte. Niemandem mehr auffiel, dass in Wien keine Amseln mehr sangen. Sie niemanden mehr finden konnte, der das beklagte. Mit ihr. Eine dumpfe Lawine. Sie fühlte eine dumpfe Lawine über sich hinweg. Von irgendwo hinter ihr. Lautlos. Staubig ihr den Atem nehmend über sie hinweg. Und dann nichts mehr übrig geblieben. Wohin sie gehen konnte. Wohin sie. Ihr Herz tragen konnte. Es besser gewesen wäre, als Kind von reichen Eltern. Und einen Park, in den niemand hineingehen und dann auch keine Bierflaschen zurücklassen konnte. Einen Augenblick verstand sie die kleine Person mit den abrasierten Haaren. Sie verstand die Enge rund um Sarah Kane. Die mit biertrinkenden Männern und limousinenlenkenden Chauffeuren mit goldbetressten Kappen umstellte Enge. Das Seil. Der Strick um den Hals. Nur Vollzug dieser Enge. Aber was sollte sie tun. Sie stand gegen den Stamm gelehnt. Roch die Rinde. Der Rucksack. Der Riemen schnitt in die linke Schulter ein. Sie stieß sich von dem Baum ab. Schritt durch das Gras. Eine Gruppe von rechts. Die Menschen schwärmten auf die Cafeteria zu. Standen um die Tische. Verteilten sich auf die Tische. Ließen sich an den Tischen nieder. Selma ging schneller. Sie brauchte einen Sessel. Sie konnte sich einen Sessel wegrücken. An den Rand der Wiese. Ganz nach links. Einen Kaffee. Mehr brauchte sie nicht. Und dann fuhr sie zum Flughafen. Vielleicht konnte sie umbuchen. Irgendwie. Wenn man da war, ging das ja manchmal ganz leicht. Sie musste zurück. Das war zu anstrengend hier. Sie war nach den ersten drei Schritten außer Atem. Ihre Schlafentzugstherapie tat ihrer Seele gut. Sie hatte noch keine richtige Krise gehabt. Aber ihr Zustand. Ihr Herz schlug. Die Lungen als wäre sie den ganzen Weg gelaufen. Die Beine. Eine Linie die Oberschenkel innen. Als hätte sie da einen neuen Muskel. Als wäre da ein Muskel, der noch nie bewegt worden war. Ein ganz neuer Muskel, der das Bewegen lernen musste. Erst. Sie hatte den Eindruck von sich, über das Gras zu staksen. Steif zu staksen. Ohne Grazie. Ungelenk. Ein Krüppel. Eine Krüppelin, Hinter den Büschen die Cafeteria. Es war Selbstbedienung. Eine kleine Schlange hatte sich vor dem Fenster gebildet. Man gab seine Bestellung auf. Bekam den Kaffee und ging auf den Platz zurück. Die Speisen wurden an den Tisch gebracht. Eine dickliche Frau in einem rosa Kleid mit gestreifter Schürze trug Teller mit Omelettes vorbei. Schinken mit Ei. Speck mit Ei. Selma stellte sich an. Ganz hinten war ein Tisch frei. Allein. Im Schatten. Die anderen Tische waren alle in die Sonne gerückt. Selma hörte den Bestellungen vor sich zu. Omelettes aus Eiweiß. Speck mit Ei und Pilzen. Schinken und Ei und Tomaten und Pilze. Weißbrottoast. Roggenbrottoast. Butter. Ja. Natürlich Butter. Selma nahm ein Croissant und einen großen Kaffee. »Regular. No milk. No sugar.« Sie bekam den Becher. Das Croissant. Sie nahm Servietten aus dem Serviettenspender. Der Tisch außen war noch frei. Sie ging hin. Stellte alle ihre Sachen ab. Sie zog sich einen Sessel weg. Unter einen Busch. Tief in den Schatten. Es war aber schon jemand da. Eine ältere Frau. Sie hatte dasselbe getan. Sie hatte sich einen Sessel unter den weiß blühenden Busch gestellt. Selma blieb stehen. Die Frau lächelte sie an. Ob sie auch Schatten brauchte, fragte sie. Selma stellte ihren Sessel ab. Sie wolle nicht stören, sagte sie. »Am I disturbing you.« Aber die Frau lächelte sie weiter an. Nein, sie störe nicht. Selma ging

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