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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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verboten gewesen. Das Postgesetz hatte vorgeschrieben, dass auf einer Schaltung das Telefon klingelte. Dass eine Klingel zu hören war. Dass man erreichbar war. Der Vater schon immer nicht erreichbar sein hatte wollen. Sie drehte sich um. Schaute herum. Sie hatte plötzlich das Gefühl gehabt, jemand habe sie angesehen. Sie hatte dieses Gefühl gehabt, fixiert worden zu sein. Sollte der Tommi. Sie stellte sich vor, wie er sich anschlich und ihr ein Haar ausriss. Und wie sie ihm nachlief. Und was rief man, wenn man den Dieb eines Haupthaares verfolgte. Und was stellte sich der Tommi vor, wenn sich die Wahrheit herausstellte. Dass sein Vater gelogen hatte. Dass er ihre Mutter verleumdet hatte. Arschloch, dachte sie. Dann sah sie sich um. Sprach sie laut mit sich. Sie hatte jetzt manchmal den Verdacht, sie sprach laut. Vor sich hin. Sagte die Dinge aus ihrem Kopf. Niemand beachtete sie. Wieder drängten alle nach vorne. Der Zug fuhr ein. Das Gedränge. Der nächste Zug sollte gleich da sein. Noch einmal 3 Minuten. Der Zug vor ihr war voll gestopft. Der Bahnsteig war leerer. Sie wollte auf den nächsten Zug warten. Es schien bequemer. Sie fuhr nur eine Station. Der Zug war abgefahren. Sie hatte ihr handy abgestellt. Sie überlegte. Das Gerät war so tief im Rucksack. In der Handtasche. Das Klingeln würde gar nicht zu hören sein. Sie wollte mit niemandem reden. Und schon gar nicht mit dem Vater. Warum hatte er ihre Nummer weitergegeben. Das Hotel. Sie hatte ausdrücklich gesagt, dass nicht. Und Gilchrist. Das Beste an der ganzen Geschichte war, dass er die Rechnung bezahlen hatte müssen. Dieses Mal. Dieses Mal war ihm die Rechnung geblieben. Sie ging nach hinten. Es kamen Passagiere von oben. Aber nicht mehr in Schüben. Einzeln. Am hinteren Ende der Bahnsteigs fast leer. Sie dachte, dass der Mann nun auf dem Weg nach Old Street war. Sie hatte Hunger. Sie hatte Lust auf eine Topfengolatsche. Sie sollte sich einen Tea Shop suchen und ein Danish und einen guten Tee. Noch einen solchen Kaffee. Und ihr Magen bekam Löcher. Es war doch nicht so schrecklich. Hier. Eigentlich. Und sie sollte Sebastian. Konnte sie Sebastian. Konnte sie dorthin. Aber erst, wenn sie etwas gemacht hatte. Wenn sie sagen konnte, was sie getan hatte. Dass sie bei Blackwell 10 Bücher gekauft hatte. Dahin konnte sie nur, wenn sie selber etwas. Zu berichten. Aber dann. Da gehörte sie hin. Irgendwie. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dahin gehen zu können. Da auftauchen zu können. Es war besser geworden. Mit ihr. Insgesamt. Sie hatte das Gefühl, dass es besser geworden war. Für sie. Sie war so durchgerüttelt. Dieses Gefühl, in den Boden gezogen zu werden. Diese Anstrengung bei jedem Schritt. Als müssten die Füße aus einer klebrigen Masse gezogen werden. Und die Schultern gegen eine Last von oben. Sie war eher manisch. Um den solar plexus. Eine Spannung. Aber kein Rasen. Und sie hätte hampeln können. Arme und Beine im Springen. Es war nicht dieser Panzer rund um sie. Und alles besser als diese Verlangsamung, und alles eine Mühe. Sie hielt den Riemen des Rucksacks mit beiden Händen. Es strömten wieder Menschen auf den Bahnsteig. Kamen von oben. Sie ging noch weiter nach hinten. Drei junge Männer schlossen auf. Gingen hinter ihr. Sie redeten laut. Selma hörte nicht zu. Sie konnte den Slang ohnehin nicht verstehen. Es schien cockney zu sein. Stark diphtongiert und in einem Singsang. Die jungen Männer hatten Bierdosen in der Hand. Große Bierdosen. Selma ging ein Stück zurück. Die Männer schlugen einander mit den Fäusten gegen die Oberarme. Kleine, scharfe Schläge. Herausfordernd. Selma stieß gegen den großen Dicken. Große Aknepusteln im bleichen Gesicht. Ob sie nicht aufpassen könne. Der Mann ging ihr nach. Der Mann hatte sich ihr in den Weg gestellt. Sie schaute zu Boden. Kein Blickkontakt, dachte sie. Sie ging in Richtung Ausgang. »Watch your bloody fucking step.« Er schrie ihr das in den Rücken. Der kleine Dunkelhaarige zischte »Fucking bloody old bitch.« Der rothaarige Große lachte. Er rief, sie sollten sich nicht aufregen. Selma hatte »Sorry.« gesagt. Sie war ausgewichen. Die Männer waren ihr in den Weg getreten. Sie waren betrunken. Sie schrien hinter Selma her. Es war mehr zu ihrer Unterhaltung. Sie blieben am Ende des Bahnsteigs stehen. Selma verschwand durch einen der Durchlässe. Sie ging auf die andere Seite. Sie ging auf die Seite nach Holborn. Sie ging noch ein Stück vor. Diese Kerle richtig loszuwerden. Der

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