Entfernung.
einen Augenblick. Sie habe ja Recht. Er wippte auf den Zehen. Er melde sich dann in Wien. Immerhin hätten sie eine gemeinsame Basis. Jetzt. Er hob die Hand. Grüßend. Drehte sich um und ging über die Wiese weg. Selma ging zur Cafeteria. Warf die Becher weg. Die Mülltonne gleich neben dem Eingang. Sie ging den Weg zurück. Vorbei an dem Gesträuch, hinter dem sie gesessen war. Sie ging zum Ausgang nach hinten. Sie sah die U-Bahn-Zeichen durch das Parktor. Sie schlenderte. War sie jetzt unfreundlich gewesen. Verletzend. Rigid. Aber das war ein Überfall gewesen. Das war doch ein Überfall gewesen. Auch wenn er sich das schon lange überlegt hatte. Wie konnte er ein Recht auf sie. Ein Recht ableiten. Aus dem Gebrabbel eines alten Mannes. Eines notorischen Weiberhelden. Und es war die alte Geschichte. Er sah sich als Opfer und leitete eine Berechtigung davon ab, als Täter auftreten zu können. Hätte er das nicht alles bei sich behalten müssen. Hätte er das alles nicht mit sich selbst ausmachen müssen. Eine Therapie. Eine Analyse. War das nicht die klassische Anlage für eine Analyse. Musste man da als ernst zu nehmende Person nicht eine Analyse machen und mit sich selber klar werden. Er hatte sich gerade. Er hatte sich über sie geworfen. Und das war auch ihr Gefühl. Überfallen und bedroht. Und es gab keine andere Reaktion, als sich abgrenzen. Gegen solche Überfälle. Und die Selbstverständlichkeit, mit der er. Sie drehte sich um. Sie erwartete, dass er den Platz absuchte. Nach einem Haar von ihr. Nach einem Taschentuch. Er hätte den Kaffeebecher. Sie ging an die Wegbiegung zurück. Schaute nach dem Abfalleimer. Aber der Mann war weg. Er hatte keinen Versuch gemacht. Sie kehrte wieder um. Musste sie jetzt Angst vor dem Raub ihrer Haarbürste haben. Musste sie jetzt jedes Papiertaschentuch bei sich behalten und in die schwarzen Mülltonnen. Die, die in die Müllverbrennung kamen. Musste sie ihre Zahnbürste bewachen. Sie lachte. Sie musste lachen. Sie ging auf das Parktor zu. Draußen. Auf der Straße zwischen der U-Bahnstation und dem Park dichter Verkehr. Autos in beiden Richtungen in ununterbrochenen Kolonnen. Sie würde zum Flughafen fahren. Sie musste hier nur in die Piccadilly Line steigen und nach Heathrow. Oder sollte sie die anderen Flughäfen abklappern. Die anderen Fluglinien. Die Billigfluglinien. Sollte sie eine Flughafentournee machen. So absurd wie das alles war. Sie sollte diesen Aufenthalt beenden. Sie sollte zurückfliegen und nachdenken. Sie sollte auf den Balkon in der Lange Gasse zurückkehren und nachdenken. Lange nachdenken. Sich alles überlegen. Alles neu ausdenken. Immerhin. Sie blieb am Straßenrand stehen. Wartete auf Grün für die Fußgänger. Immerhin konnte sie das Wort »neu« denken. Das war mehr als vorher. Das war mehr, als sie vor der Abreise denken hatte können. Sie war weitergekommen. Die Reise war nicht ganz sinnlos gewesen. Die Ampel sprang um. Ein Auto wollte noch über den Zebrastreifen. Blieb auf dem Zebrastreifen stehen. Die Fußgänger mussten rund um das Auto gehen. Durch die Gase aus dem Auspuff. Selma hielt den Atem an. Wollte erst wieder auf der anderen Seite Luft holen. Ein Mann von der anderen Seite. Er trat gegen das Auto. Er ging auf das Auto zu. Als wäre es nicht da und trat gegen die Tür des Autos. Da, wo er gehen können hätte sollen. Alle eilten weiter. Der Mann trat ein zweites Mal gegen die Autotür. Der Fahrer. Selma konnte nicht sehen, ob es ein Mann oder eine Frau war. Es wurde Gas gegeben und das Auto zwängte sich in die Gegenfahrbahn und sauste zwischen den beiden Kolonnen davon. Der Brite. Der, der getreten hatte. Er schrie Beschimpfungen hinter dem Auto her. Stand auf dem Zebrastreifen. Schrie, dass er Rechte hätte. Das er »bloody rights« hätte. Dann ging er weiter. Er verschwand in den Park. Niemand hatte Notiz von ihm genommen. Die Autos schoben sich wieder eines hinter dem anderen über die Kreuzung.
25
Sie erkannte den Eingang zur underground wieder. Man ging in ein Haus. Ein Gebäude. Unten. Man ging in eine Halle und dann gleich hinunter. In die Schächte. Es roch nach indischem Essen und Knoblauch. Sie war hier ein- und ausgestiegen. Das war bei diesem Seminar gewesen. Am anderen Ende von Russell Square. Da war sie noch als Expertin aufgetreten. Da hatte sie als Expertin gegolten. Für deutschsprachiges Theater. Das war sie nicht mehr. Natürlich. Arbeitslose waren keine Experten. Nur für Arbeitslosigkeit. Man war immer nur
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