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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Wand im Rücken zu haben. Niemand an ihr vorbei. Dann sah sie wieder starr vor sich hin. Unbewegt. Hoffte, nichts preiszugeben. Von den Tumulten in sich. Der Schottenhof fiel ihr ein. Sie sah ihn vor sich. Das war lange zurück. Das Café Haag hatte diesen Sommergarten im Hof. Die Fassaden grau staubig. Das war alles renoviert mittlerweile. Es war ein windiger Tag gewesen. Der Staubmantel im Wind geschlagen. Auf wen hatte sie gewartet. Sie hatte auf jemanden gewartet. Das Kaffeehaus war geschlossen gewesen. Ruhetag. Sie war dagestanden. Wie jetzt. Und dann hatte sie den Schlag gespürt. Verspürt. Sie bekam einen Schlag auf den Kopf. Hörte ein Lachen. Ein Koch vom Schottenkeller. Er hatte diese Pepitahosen angehabt. Und eine doppelreihig geknöpfte Kochjacke. Er lief davon. Lief zu einem anderen Koch. Die beiden standen unten. Vor dem Eingang zum Schottenkeller. Und sie hatte sich nicht getraut, hinzugehen und den Mann zur Rede zu stellen. Damals war sie jung gewesen. Und so etwas war nie wieder vorgekommen. Sie hatte so etwas nie wieder vorkommen lassen. Und hier. Da war es ja auch eine Frage der Sprache. Sie wusste nicht. Hatte keine Ahnung, wie sich Deeskalation britisch anhörte. In Wien hätte sie den richtigen Ton gewusst. Ironisch ernst nehmend. Die Sache nicht wichtig nehmend. Aber sich selbst einen Platz verschaffend. Da hätte sie »Hej.« sagen können. »Habt ihr nichts Besseres zu tun.« Oder »Muss das sein. Sauft doch euer Bier, ohne andere zu belästigen.« Und dann hätte sie sich umgedreht und wäre weiter. Weggegangen. Nach vorne. Sie hätte sich der Umstehenden vergewissern können. Sie war hier ohne Appellmöglichkeiten. Aber so war Fremde. So war es in der Fremde. So war es auf allen Reisen. Solche Ereignisse. Solche Zustände. Die wurden von der touristischen Erinnerung ausgeblendet. Oder in Abenteuer verwandelt. In überwundene Abenteuer. Reiseerinnerungen. Dann. Und dann wurden solche Hooligans auch noch mythische Gestalten und die Demütigung ein Abenteuer. Sie streckte sich. Sie schwang den Rucksack auf die andere Schulter. Sie ging wieder zurück. Sie ging genau an die Stelle zurück, an der sie diese Männer getroffen hatte. Der Bahnsteig fast leer. Es war nach 9 Uhr. Alle in ihren Büros. An ihren Arbeitsstätten. Der nächste Zug kam in 2 Minuten. Sie verhielt sich lächerlich. Das war verständlich. Aber sie musste sich in Bewegung bringen. Zu Bewegung zwingen. Sie musste versuchen, in der Bewegung das Wissen ihres Körpers zu überlisten. Dieses Wissen von Schwere und Sehnsucht. Sie musste sich anpassen. Darin musste sie sich anpassen. Die Möglichkeit einer Trennung. Sie konnte so stehen bleiben. Ihr Körper eingemauert und die Zukunft immer enger. Das war der Punkt. Sie schaute auf die Gleise. Auf den stromführenden Metallstrang. Wenn der Körper sich nicht mehr aus der Ummauerung bewegen ließ. Da blieb. Unbeweglich. Dann konnte der Geist nur noch zum Ende raten. Dann musste man sich dahin werfen. Vor den nächsten Zug. Ihre Verzweiflung war tief genug. Sie dachte, sie hätte Gründe für eine solche Lösung. Sie hätte sich lieber aufgehängt. Die Vorstellung dieses einen Augenblicks. Dieses Boden-unter-den-Füßen-Verlieren. Sie schaute ihre Schuhe an. Schaute zu Boden. Das Elend der Welt von diesen 3 Männern repräsentiert. Random violence. Und sie durfte nie vergessen, sie war in einem Krieg führenden Land. Aber die Zeit dafür. Die war überwunden. Darüber war sie hinweg. Dass es das Einfachste wäre, sich selbst wegzuräumen. Sich selbst aus dem Weg schaffen. Weil der Geist es nicht ertragen konnte, wie schwer dieser Körper war. Welche Ansprüche der hatte. Wie unbeweglich. Wie schmerzvoll. Wie die Schmerzen über die Erinnerung an sich selbst schlugen. Wie man sich selbst ertränkte. Wie verführerisch die Vorstellung war. Wie sie einen jeden Augenblick im Griff hatte. Wie sie einen lenkte und leitete. Jeden Augenblick die Vorstellung zu baumeln. Ins Ende geworfen und keine Mühe mehr. Die Erlösung. Die viel versprochene Erlösung. Die dann nur mehr ein Nichts sein sollte. Wie niedergetreten, sie mit dem Nichts schon zufrieden gewesen wäre. Und einen Himmel. Dass es besser werden könnte. Sie hatte sich nur mehr ein Ende in Gleichgültigkeit vorstellen können. In farblose Auflösung. Sie hatte jeden Kampf aufgegeben. Aufgegeben gehabt. Und vielleicht war die Lähmung eine Stilllegung gewesen. Ein Ausruhen. In dieser Schwere sich selbst fangen und ausruhen. Nicht mit

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