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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Achillessehne brannte. Sie saß da. Sie hielt die Jacke um sich. Fest. Es war heiß. Ihr Gesicht. Sie verbot sich, sich ins Gesicht zu greifen. Es brannte. Es gab brennende Stellen. Sie hatte nicht geweint. Die Nässe. Aber es schmerzte nicht richtig. Ein Knistern. Ein sehr lautes Knistern. Ein Lautsprecher. Dann nichts. Was war da vorne. »Why can’t this be stopped.« »Dear. Dear.« »Them bloody fucking terrorists.« »I can’t stand this.« Die Stimme ansteigend. Selma hörte zu. Würde das mit dem Schreien. Alle. Wie die Engel im Feuerofen. Sie dachte an den Medienprofessor in Berlin. Der für die Schreie unter der Dusche in Auschwitz die Schreie einer Gebärenden genommen hatte. Für eine Doku. Hier wären. Woher hatte jemand die Schreie einer Gebärenden. Und welche Gebärende schrie. Die atmeten doch. Die mussten atmen. Schreien. Sie würden früher. Den Sauerstoff aufbrauchen. Oder war das nur in Fernsehserien so. Es kam ihr heißer vor. Die Temperatur angestiegen. Was kam jetzt. Was musste sie. Was wartete. Der Park. Ein paar Schritte. Glatte Platanenstämme. Schilf fiel ihr ein. Auf der anderen Seite. Hinter dem Mann auf dem Boden. Bewegungen. Ächzen. »Is there a doctor?« Ein Flämmchen. Ein Feuerzeug. Die Flammen blau. Winzig. Weit weg. Selma beugte sich wieder über ihre Knie. Zog die Jacke über den Kopf. Der Vater. Der Letzte von Zinningen. Ob es ein Begräbnis geben würde. Wenn es brannte. Es wurde heißer. Stetig heißer. Sich nicht die Kleider vom Leib reißen. Nur wegen des Schutzes. Sie wollte angezogen verbrennen. Sie hatte nur Naturfasern an. Kein Sich-Hineinbrennen von Kunststoff. Einen Augenblick alles zusammengeballt und nach außen. Umsichschlagen. Toben. Schreien. Nur die Angst noch größer, was danach kommen würde. Nach dem Schreien. Nach dem Toben. Nach dem Um-sich-Schlagen. Die Angst, dann alle Mittel verbraucht und das Elend. Noch grenzenloser. Die Frau schrie. Sie wollte, dieses Geräusch hörte auf. Das Schreien. Es ließ einem keinen Platz. Es ließ keinen Platz für sie. Das Schreien löschte sie aus. Sie war schwach von diesem Schreien. Man musste die Gase einatmen. Wenn man verbrannt wurde, musste man die Gase einatmen. Sie wusste das aus einem Buch über Bloody Mary. Der Halbschwester von Queen Elizabeth I. Bloody Mary hatte viele Gegner verbrennen lassen. Sie war wieder katholisch gewesen und hatte die Antipapisten verfolgt. Und bei den Verbrennungen. Die Zuseher hatten den Verbrennenden zugerufen, einzuatmen. Tief einzuatmen. Die aufsteigenden Gase tief in sich. Dann war man schon tot. Oder wenigstens bewusstlos. Wenn das Feuer kam. Der Mann neben ihr. Er lag still. Wenn sie tot war. Der Tommi konnte sich alles nehmen. Ihr Einspruch. Mit ihr. Er konnte bei der Trauerfeier. Er konnte sich eine Erinnerung ausbitten. Die Sydler würde mit ihm ins Zimmer. Ein Buch. Eines von den Büchern, die sie gerne. Es sind nicht viele Bücher von ihr hier. Sie wissen ja. Aber die. Hier. Bitte. Und er nahm die Haarbürste. Die silberne Haarbürste. Der Spiegel dazu. Der war im Schlafzimmer. Auf dem Frisiertisch. Und dann alles wusste. Dann konnte er alles wissen. Viele Leute froh sein würden. Traurig. Aber froh. Sie war weg. Der Zivilprozess gegen den Anton. Die Klägerin. In London verunglückt. In der underground. Tragisch. Nicht mehr. Nicht einmal einen Rest von schlechtem Gewissen. Erleichtert. Viele würden erleichtert sein. Jedenfalls fehlen. Ein Gerümpel. Menschen bewegten sich. Jemand schrie auf. Selma duckte sich. Stützte sich auf. Die Hand des Mannes. Ihre Hand geriet über die des Mannes. Ihre Hand über seiner. Sie ließ die Hand liegen. Seine Hand. Warm. Knochig. Die Haut. Klebrig. Arme Schweine, dachte sie. Wir sind arme Schweine. Und ich denke auf Englisch und niemand versteht mich. Aber es war auch nebensächlich. Alles war langsam. Mühselig. Eine Mühsal. Gleichgültiger als sie es sich vorstellen hatte können. Jemand schlug gegen die Tür. Riss an der Tür herum. Fluchte. »Bloody fucking bloody damn shit.« War das wirklich sie. Die Mutter hätte sich Gedichte vorsagen können. Die Mutter alle Balladen. Alle diese Balladen. Sie konnte nichts auswendig. Nicht einmal. Nicht einmal ein Gebet. Sie suchte nach dem Anfang vom »Vater unser.« Nach »der du bist« war schon alles aus. Und »Gegrüßet seist du Maria.« Ihr fiel »Guten Tag« ein. Als Antwort. Als Maria. »Gegrüßet seist du Maria.« »Guten Tag.« Die Frau schrie. Der Ton ließ die Ballung um den

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