Entfernung.
gesprochen. Dass man verzichten könnte. Auf diesen sound. Dass man sie abstellen sollte. »Switch off.« wurde gesagt. Jemand lachte dazu. Selma ließ sich zurücksinken. Der Kopf. Wo war der Rucksack. Sie lehnte gegen die Wand. Saß gegen die Wand gelehnt. Ihre Beine. Ausgestreckt. Über die Beine des Mannes gelegt. Es war ihr gleichgültig. Die Beine des toten Mannes fühlten sich. Normal. Beine. Es war doppelt Stoff zwischen ihm und ihr. Seine Hose. Ihre Hose. Gut, dass sie den Hosenanzug. Die Frau im Auto. Die trug ihren Hut. Die ging. Oder stand. Oder saß. Mit dem weißen Hut mit schwarzen Tupfen. Das war gerade gewesen. War das eine Stunde her. Oder weniger. Die Kühle da. Der nass gespritzte Gehsteig. Wer war der Mann gewesen. Ein Dirigent. Ein jüdischer Dirigent. Im Zweiten Weltkrieg. Sie kannte nur Nazi-Dirigenten. Aus der Zeit. Wo war der Rucksack. Das Wasser. Sie hatte doch Wasser. Oder hatte sie das. Hatte sie das stehen gelassen. Neben dem Sessel. Wegen dem Tommi. Hatte sie. Damit sie schnell wegkam. Und weil sie aufräumen hatte müssen. Der Kerl ja seinen Becher. Einfach stehen lassen. Sie konnte sich nicht erinnern. Sie stellte sich den Park vor. Sie dachte sich zurück. Die alte Dame ging weg. Der Tommi kam daher. Setzte sich. Nein. Er hatte sich Kaffee geholt. Sie hatte alles neben den Sessel gestellt. Oder hatte sie das Wasser. Nein. Sie hatte die Flasche aus dem Rucksack gezogen. Sie hatte sich den ersten Kaffee. Den großen Becher. Den hatte sie mit diesem Wasser verdünnt. Damit sie sich nicht noch einmal den Mund verbrannte. Und dann hatte das Telefon geklingelt. Wer hatte da. Ja. Natürlich. Der Tommi. Wie hatte der sie. Er musste ihr nachgegangen sein. Er musste sie beim Verlassen des Hotels. Wie sonst. So einen Zufall gab es nicht. Er hatte ihr nachgestellt. Wo war der Rucksack. Sie konnte. Der Vater. Sie konnte ihn anrufen. Sie setzte sich auf. Griff um sich. Was sagte sie ihm. Was sollte sie ihm sagen. Dass das ihre Sterbestunde war. Ich liebe dich, Vater. Und er würde sagen, dass er sie liebe. Und dass sie das nie vergessen solle. Und das Nie würde nur noch ein paar Minuten dauern. Bis das Feuer sie erreicht hatte. Und sie die Gase eingeatmet. Sich mit Gasen voll geatmet. »It figures.« sagte sie zu sich. Wo war der Rucksack. Das Wasser. Wenn die Theres. Die hätte sie anrufen können. Die wäre die Einzige gewesen, mit der sie. Ein letztes Gespräch. Die Theres. Am Ende war das dann ihre Einzige. Ihre einzige »meaningful relationship« gewesen. Die einzige geblieben. Sie konnte sich nicht bewegen. Die Frau schrie nicht mehr. Es war still. Es war finster und still. Sie hörte niemanden mehr. Waren die alle weg. Sie bekam Luft. Die Dunkelheit und die Stille. Eingemauert. Sie wollte das Gesicht in die Hände legen. Und klagen. Sie wollte klagen. Aber sie konnte sich nicht vorbeugen. Die Dunkelheit. Wenn sie sich bewegte. Sie sah sich an sich selber vorbeigleiten. Vorbeigleiten und auseinander. Im Kopf. Wenn sie die Augen schloss. Sie musste sich anstrengen. Aber dann Bilder. Mit Licht. Der Blick auf die Wiese. Die Straße. Oben. Ihr Herz. Jagend. Beim Gedanken, die Straße oben. Der Pulsschlag rasend. Ihre Ohren füllend. Dann wieder. Die Schwäche und das Zittern. Und wie lange war das. Wie lange war das alles. Wie lange war sie hier. Die Dunkelheit. Sie konnte nichts denken. Ohne Licht. Die Dunkelheit presste alles aus dem Kopf. Sie sagte ihren Namen. Sie sagte sich, dass sie Selma hieß. Dass sie das nie vergessen sollte. Eine Ungeduld. Das Herzrasen hatte den ganzen Körper erfasst. Hatte den ganzen Körper gepackt. Schweiß. Starb sie an einer Panikattacke. Konnte man an einer Panikattacke sterben. Sie hatte von einem Fall gelesen. In einem Lift. In einem stecken gebliebenen Lift. Bei den Zahnoperationen. Da waren ihr die Sinne geschwunden. Vor Angst. Wenn ihr die Augen verdeckt worden waren. Wenn ihr der Blick zugedeckt worden war. Und bei Computertomographien. Die eine. Wegen dem Drehschwindel. Sie hatte den Panikknopf drücken müssen. Jetzt dagegen. Die Sinne fielen über sie her. Rasten über sie hin. Rasten durch sie hindurch. Der Kopf. Sie fand sich liegend. Doch die Sinne geschwunden, dachte sie. Jemand fasste sie an. Dass der Mann da tot sei, sagte sie. Sie sagte es in Richtung der Person. Sie sagte es noch einmal. Lauter. Niemand antwortete. Sie kroch auf. Es war langweilig. Es passierte nichts. Es ging nicht weiter. Mit dem Sterben. Sie wollte nichts beschleunigen.
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