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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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»Does anyone have a light?« Das war sie, die das gefragt hatte. »By chance.« Sie fügte das hinzu. Sie hörte sich selber. Die brave Mädchenstimme. Eine Englischunterrichtsstimme. Ein Schluchzen. »Dear. Dear.« antwortete jemand. Alle redeten leise. Alle flüsterten. Selma fragte noch einmal. Niemand gab eine Antwort. War sie nicht zu hören. Konnte man sie nicht hören. Die Frau schrie. Das Dunkel blieb. Selma machte die Augen zu. Sich vollends an das Dunkel zu gewöhnen und dann wenigstens Umrisse. Sie zählte bis 7. Sie riss die Augen auf. Das Dunkel unverändert. Sie griff neben sich. Jemand lag da. Ein Mann. Anzugstoff. Sie konnte sich nicht erinnern. Sie hatte sich nicht umgesehen. Wer sonst noch in diesem Wagen. Sie hatte nur weitergewollt. Sie hatte transportiert werden wollen. Hilfe. Wann würde Hilfe kommen. Sie stieß die Person an. Das Schreien. Sie hatte die Hitze vergessen. Das Atmen. Ein Zittern. Ganz außen ein Zittern. Innen die Hitze. Oben. In der Brust die fettige Feuchte in der Lunge. Platz für kleine Atemzüge. Japsend. Helfen. Helfen. Helfen. Lachen. Kichern über dieses Continuo. Quer in der Brust. Da wo die Stimme wohnte. »Das ist es also.« Der Satz stehend. Da. Ununterbrochen. Keine Wiederholung wie das Helfen. Ein einziger Ton. »Das ist es.« Ihr wurde schlecht. Ein Brechreiz. Sie hörte andere. Reden. Rascheln. Fluchen. Die Frau schrie. Sie fragte wieder nach dem Licht. Wieder gab es keine Antwort. Ihre Stimme kleiner. Bald nur noch flüstern. Jemand richtete sich auf. Sie konnte das Geraschel der Kleidung hören. Ganz nah. Hinter ihr. Glasscherben. Jemand zertrat Glasscherben. Man sollte ein Fenster einschlagen, verlangte eine Frauenstimme. Es wurde geredet. Selma konnte nicht alles verstehen. Dieses Englisch. Deshalb hatte sie keine Antwort bekommen. Sie sprach ein anderes Englisch. Keiner hier konnte sie verstehen. Man hatte ihr das falsche Englisch beigebracht. Sie beugte sich über ihre angezogenen Beine. Wo war der Rucksack. Sie zog die Jacke hinauf. Sie zog die Jacke über den Kopf. Hielt die Jacke vorne zusammen. Der Rauch war dicker geworden. Sie würde ersticken. Sie würde von dieser öligen rauchigen Schwärze ausgefüllt werden. Aufgefüllt. Bis oben ihr Kopf übrig blieb. Sie hielt die Jacke über sich. Sie war froh, nicht zu liegen. Dass der Kopf wirklich oben. Dass die schweren Lungen sie nicht überwältigten. Im Kopf war nichts mehr. Der Kopf weit. Ungenau, aber weit. Im Kopf eine weite Ruhe. Der Satz verhallt. »Das ist es.« Das war in Erinnerung. Ein Nachhall. Kein Platz mehr. Sie konnte die Luft nur mehr aufziehen. Sie atmete nichts aus. Die fette Fäule blieb in ihr. Die Frau schrie. Die Hitze. Arme und Beine von der Hitze. Wie aufgeblasen. Arme und Beine baumelten an ihr. Sie hielt die Jacke über sich gebreitet. Gleichzeitig baumelten ihre Gliedmaßen von ihr weg. Trudelten rund um sie. Enge im Hals. Zunehmend. Ziehend. Mühselig. Kein Schlucken. Kaum ein Schlucken. Aber Schlucken notwendig. Gegen die zunehmende Helligkeit im Kopf anschlucken. Luft in sich. Auf allen Wegen. Das Trudeln. Zunehmend. Neben dem Kauern. Neben dem an diese Wand gedrängten Kauern das Fluten deutlicher. Sie musste hin und her denken. Zwischen dem Atemringen und einem Schwimmen. Die Angst dazwischenfuhr. Die Hitze sich dazwischenwarf. Das Pendeln unterbrach. Die Angst brachte sie aus dem Pendeln. Einem Hin und Her. Die Angst dann alles umfing. Umklammerte. Alles unmöglich. Atmen. Denken. Sie musste erbrechen. Sie stemmte sich auf. Schnellte auf. Riss sich an Metallverstrebungen hinauf. Stand an die Wand geworfen da. Das Gesicht gegen ein Fenster. Die Scheibe klar und kühl gegen die Wange und die Nase. Sie krallte ihre Fingernägel um die Fensterrahmen. Sie hatte keine Luft zum Schreien. Es entrang sich nichts. Sie konnte sich keinen Schrei abringen. Heulen. Sie spürte die Nässe auf den Wangen. Und einen Luftzug. Sie stand da. Gegen diese Wand gepresst. Von irgendwo auf der Seite. Durch eine Ritze. Ein Hauch. Winzig. Sie stand still. Die Frau schrie. Sie horchte auf die Luft. Sie spürte den dünnen Luftzug gegen die feuchte Nase. Sie hielt den Kopf von der Scheibe weg. Etwas zu hören. Zu hören, wie die Luft in den Wagen strich. Sie hielt die Luft an, dieses Geräusch zu hören. Glas splitterte. Ein Seufzen. Alle seufzten auf. Selma konnte hören, dass viele da waren. Der Seufzer ein Chor gewesen. Selma ließ sich hinuntergleiten. Sie setzte sich wieder auf den Boden. Ihre

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