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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Koffer ein. Nahmen ihre Boardkarten in Empfang. Gingen weg. Selma sah zu. Sie wollte keine Entscheidung treffen. Sie wollte alles ablaufen haben. Sie wollte nur funktionieren müssen. Dem Ablauf folgen. Sie wollte dastehen. An diesem Business-Schalter. Solange ihre frequent-flyer-Karte gültig war. Noch. Solange sie eine Berechtigung hatte. Hier. Die Japaner standen an den Schalter gedrängt. Große Plastikschalenkoffer rund um sie. Pastellfarbene Plastikschalenkoffer. Hellblau. Türkis. Blassrosa. Sie sprachen miteinander. Redeten dann auf den Mann am Schalter ein. Der telefonierte. Deutete jemandem weit hinter Selma etwas. Sie drehte sich nicht um. Der Mann versuchte jemandem vom Ticketschalter gegenüber etwas zu deuten. Das hieß, es musste ein Supervisor kommen. Das hieß, sie würde noch lange warten. Sie würde noch lange hier herumstehen. Sie stand. Sie wollte keinen Entschluss fassen müssen. Sie wollte keine Entscheidungen treffen. Aber die Zeit. Sie musste weiter. Sie wusste nicht, von welchem Terminal der Flug weggehen würde. Beim Terminal A dauerte die Sicherheitskontrolle jedes Mal länger. Sie war nervös genug. Die Unbeweglichkeit. Die Langsamkeit. Die war nur außen. Innen. Tief im Bauch. Zuckende Unruhe. Sie nahm die Tasche vom Boden. Ging weg. Hinter ihr ein Mann. Ungeduldig. Er stieg Selma auf die Ferse. Selma drehte sich langsam weg und machte sich auf den Weg zu den Automaten zum Einchecken. Er drängte so nach vorne. Hatte es so eilig, ihren Platz einzunehmen. Er ließ ihr gar keine Zeit, den Platz zu räumen. Selma wandte sich ab. Ging weg. Die Ferse schmerzte. Der Mann hatte schwere Lederschuhe angehabt. Die Kante der Ledersohle scharf an ihrer Achillessehne entlang. Die Haut abgeschürft. Sie musste weg. Sie hätte den Mann mit der Tasche geschlagen. Ihm den Rucksack auf den Kopf geworfen. Ihn angeschrien. Ihre Augen. Tränen waren in die Augen geschossen. Der scharfe Schmerz am Fuß. Ihre Wehrlosigkeit. Die Unmöglichkeit ihren Platz einzufordern. Aber es war besser, keine Szene. Oder vielleicht war es falsch. Und sie sollte schreien. Einfach schreien. Kreischen. Alle anschreien und beschimpfen. Aber sie würde die Erinnerung daran nicht aushalten. Die Erinnerung eines solchen Vorfalls. Die Demütigung wäre noch viel größer. Sie stand vor dem Automaten. Steckte ihre Vielfliegerkarte in den Schlitz. Der Automat schrieb ihr, dass er nach ihrem Ticket suche. Dann wusste der Automat, dass sie nach London fliegen wolle. Dass der Abflug um 13.25 angesetzt sei. Dass sie um 14.50 in London Heathrow ankommen würde. Dann erschien der Sitzplan des Flugzeugs. Sie überlegte. Seit Japan kannte sie alle Tricks. Da gab es gar keine Schalter mehr, an denen jemand für einen die Boardkarte ausfertigte. Sie wählte einen Sitz am Gang. Der Fensterplatz war besetzt. Die Chance größer, dass niemand dazwischen zu sitzen käme. Sie wartete auf den Ausdruck ihrer Boardkarte. »Habe ich Ihnen weh getan.« fragte eine Männerstimme. Der Mann stellte sich nahe neben sie. Er hielt seine Boardkarte in der Hand. Beugte sich zu ihr herunter. Versuchte ihr ins Gesicht zu sehen. »Ich habe Ihnen weh getan. Das tut mir schrecklich Leid. Es tut mir wirklich Leid. Wissen Sie. Mich macht dieser Flughafen so nervös. Normalerweise benehme ich mich besser.« Selma stand da. Der Automat schob ihr ihre Vielfliegerkarte zu. Sie nahm sie. Wie lange würde sie die behalten. Behalten können. Der Automat surrte innen. Dann schob sich die Boardkarte aus dem Schlitz. Links unten. Der Mann war nahe. Mittlere Stimmlage. Sicher. Er stellte sich neben den Automaten. Vor sie. Er lehnte sich gegen den Automaten. Hielt sein Köfferchen. Er versuchte ihr ins Gesicht zu sehen. Selma hielt den Kopf gesenkt. Zog die Boardkarte aus dem Schlitz. Es wäre schon in Ordnung, sagte sie. »Aber.« Der Mann zögerte. Sie sagte, sie wäre nur erschrocken. Das sei alles. Ob man den Fuß nicht anschauen solle, fragte der Mann. »Nein.« sagte Selma. Nein. Sie lächelte den Mann an. Er war um die 40. 45. Grauer Sommeranzug. Hellgrüne Krawatte. Er war braun gebrannt. Das Gesicht schmal. Intelligent. Sie verstaute die Boardkarte in der Tasche. Es wäre alles in Ordnung, sagte sie und ging. Sie ließ den Mann stehen. Sie ärgerte sich. Sie hatte die Boardkarte in die Tasche gesteckt, obwohl sie sie ja gleich vorweisen musste. Am Eingang zum Terminal. Damit der Mann nicht dachte, sie wäre eine Provinzlerin, bog sie zur Post in den schmalen Gang hinter

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