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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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blitzschnellen Bewegungen zu einem Stapel legte und sie dann in eine rosarote Schleife steckte. Das nächste Bündel aufnahm. Selma schob 300 Euro unter der Glasscheibe durch. Sie wolle diese 300 Euro in britische Pfund gewechselt haben. Der Mann nahm die Scheine. Tippte einen Beleg. Zog eine Lade mit Geld auf. Zählte Geld heraus. Legte ihr das Geld und den Beleg hin. Wandte sich gleich wieder den Kunden auf der anderen Seite zu. Sie fischte das Geld aus der metallnen Grube unter dem Glas. Das Metall frostig und sie musste an die vielen Hände denken. Die da hingriffen. Sie steckte das Geld in die Tasche. Sie ging nach links. Schaute durch das Glas der Tür in die Halle zurück. Die Bank leer. Sie ging. Eine Versuchung. Ihn anzurufen. Das handy herausnehmen und mit ihm reden. Beim Gehen. Ihm erzählen, wie schäbig das hier alles war. Wie eng. Wie hineingestopft. Wie provinziell. Wie gestresst sie sich gleich fühlte. Wie diese aneinander gedrängten Geschäfte einen ansprangen. Vorwurfsvoll bedrängten. Und wie die Leute da herumgingen. Weltläufig im Einkaufen. Und die Preise von Paschmina-Schals und Digitalkameras von allen Flughäfen der Welt wussten. Aber ein Reflex war. Es war nur noch der Reflex. Der Überhang der 15 gemeinsamen Jahre. Gewohnheit. Und im neuen handy seine Nummer nicht. Sie ging zwischen dem Caviar House und dem duty-free-shop hinunter. Sie wollte zur Buchhandlung bei der Passkontrolle. Englische Zeitungen. Sich vorbereiten. Gesprächsstoff für das Abendessen. Was ist los. In London. Im Theater. Was schreibt Michael Billington. Sie hielt die Riemen ihrer Taschen. Ging mit den Armen gekreuzt. Abwehrhaltung, dachte sie. Und wann hatte sie das letzte Mal Sex gehabt. Sie versuchte, sich zu erinnern. Überlegte. Aber die Erinnerung an ihn. An die Wohnung. An das Leben da. An die Umgebung. Die ganze Zeit. Ein Durcheinander. Ein undurchdringliches Chaos. Bilder. Worte. Gerüche. Gesichter. Sprechen. Bewegungen. Sie selbst. Denkend. Redend. Lachend. Und so weit weg. Sie war in sich nicht mehr Teil dieser Erinnerungen. Konnte nicht zu sich in diesen Erinnerungen durch. Konnte sich an nichts erinnern. Sie wurde von einem Paar überholt. Beide in dunklen Anzügen. Sie zog ein kleines rotes Köfferchen nach. Er ein schwarzes. Sie hasteten. Keuchten. Drängten sich an ihr vorbei. Die Frau sprach in ihr Telefon. Laut. Auf Italienisch. Sie sagte, dass es Konsequenzen geben würde. Dass das nicht so ginge. Und dass das anders ausgemacht wäre. Convenuto. Deciso. Der Mann lief neben ihr. Hielt den Kopf gesenkt. Die Frau sah im Hasten immer wieder zu ihm hinüber und er nickte zustimmend. Im duty-free-shop standen die Angestellten in ihren weinroten Uniformen an einer Kassa. Sie lachten. Eine Frau wartete zu bezahlen. Die Angestellten kehrten ihr den Rücken zu. Die Frau sagte etwas. Hielt etwas in der Hand. Hielt etwas hoch. Ein Angestellter wandte sich ihr zu. Langsam. Ging an eine andere Kassa. Deutete der Frau, dahin zu kommen. Selma ging. Hielt die Riemen eng vor der Brust gekreuzt. Sie hätte der weinenden Frau draußen. Der hätte sie helfen wollen. Aber sie war auch wütend. Sie hatte auch allen Grund zu weinen. Sich hinzustellen. Und laut zu klagen. Aber sie. Sie musste alles begraben. In sich. Und sie hätte alles wissen wollen. Über diese Szene. Wer waren diese Personen gewesen. Woher waren sie gekommen. Sie hatten nach Mittlerem Osten ausgesehen. Oder einem dieser Sowjetunionnachfolgestaaten. Waren sie alle abgereist. War der junge Mann abgereist. War er der Sohn. Warteten sie auf jemanden. Wohin gehörten sie. Sie ging. Schaute nicht rechts. Nicht links. Das war alles nur mehr für die anderen. Sie brauchte gar nicht mehr hinsehen. Sie musste gar keine Entscheidung mehr treffen. Über die Waren. War etwas kitschig. War etwas spießig. War etwas neureich. War etwas o.k. War etwas unumgänglich. Musste man etwas haben. Sie würde nichts kaufen. Können. Sie gewöhnte sich besser daran. Ein für alle Mal. Selma, böse Gouvernante, dachte sie. Sie ging. Bei den Sachertorten und Altmann-und-Kühne-Bonbonnieren bemerkte sie die Tränen. Sie liefen ihr über die Wangen. Rollten. Sie wischte sie nicht weg. Es waren schöne Tränen. Brennende Kügelchen. Sie ließen eine dünne gerade Spur über die Wangen zurück. Verliefen sich. Und es schaute ohnehin niemand. Das Mustern. Das gegenseitige Mustern. Sie war nicht mehr jung genug. Die letzten Jahre waren die Blicke so farblos geworden. Wenn jemand sie

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