Entfernung.
den Check-in-Schaltern ein. Sie ließ sich eine Telefonzelle zuweisen. Zelle 1. Sie setzte sich in den Glaskobel. Stellte den Rucksack ab. Die Tasche. Sie schaute auf das Telefon. Früher hätte sie mit so einem Mann angebandelt. Sie hätte ihm gesagt, dass er ihr weh getan hatte. Sie hätten ihr Bein angesehen. Und dann wären sie in die Business Lounge gegangen und hätten ein Glas Sekt getrunken. Vielleicht wäre dieser Mann auch nach London geflogen. Dann hätten sie sich im Flugzeug. Jetzt. Es interessierte sie nicht einmal. Der Mann hatte sie kalt gelassen. Vollkommen kalt. Er hatte sich erst nach dem Einchecken entschuldigt. Er hatte sich erst um sie gekümmert, nachdem er seine Dinge erledigt gehabt hatte. Wenn es ihr besser gegangen wäre. Sie hätte ihm das sagen müssen. Ganz ruhig. Dass er seinen Charme nicht verschwenden solle. Dass er oberflächlich war. Offenkundig. Egoistisch. Und dass sie das nicht interessierte. Nicht mehr interessierte. Über so etwas hätte sie noch vor 3 Monaten hinweggesehen. Sie wählte die Nummer des Vaters. Keine Antwort. Das Telefon läutete. Sie sah die Wohnung. Die Parkettböden glänzend. Die Möbel dunkel schimmernd. Die dunkelgrünen Vorhänge halb vor den Fenstern. Die Türen offen. Die Vögel vom Hof zu hören. Die Dosen und Döschen in der Vitrine vor dem Fenster. Die Farben leuchtend. Der Geruch von ihrem Kaffee vor der Abfahrt. Das Klingeln des Telefons in die Räume rollte. Verrann. Niemand da. Sie hätte mit dem Vater reden wollen. Sich durch seine Knappheit beruhigen lassen. Mach es gut, hätte er ihr sagen sollen. Sie wählte die Nummer in der Maxingstraße. Sie konnte sich die Wohnung da nicht. Sie wusste nicht, ob das da noch so aussah, wie sie es. Der Apparat läutete 4-mal. Dann ein Anrufbeantworter. »Hier ist der Anrufbeantworter von Selma Brechthold und Anton Breithuber. Hinterlassen Sie uns eine Antwort nach dem Piepton.« Antons Stimme. Er hatte darauf bestanden. Sie solle an erster Stelle genannt werden. Er würde sprechen. Dafür. Als Ausgleich. Damit alles ausgewogen war. Sie legte auf. Wählte wieder. Sie hörte sich seine Stimme an. Legte auf. Drückte auf die Wiederholungstaste. Nach ihrem Namen legte sie auf. Sie saß da. Starrte auf das Pult in der Glaszelle. Starrte auf das Telefon. Beige mit hellbeigen Tasten. Die Welt war weit weg. Die gläserne Zelle schien unendlich weit. Ausgedehnt. Die Wände nicht zu erreichen. Weggeglitten. Und alles sehr langsam. Das könne nicht wahr sein, dachte sie. Fühlte es. Spürte die Wirklichkeit durch die Fingerspitzen davonfließen. Durch die Füße in den Boden rinnen. Und gleichzeitig wurde sie größer. Wuchs. Füllte die Glaszelle aus. Sie hob die Tasche vom Boden. Sie begann den Inhalt der Tasche auf das Pult zu legen. Die Mappe mit den Unterlagen. Eine Packung Taschentücher. Die Geldbörse mit den Euros. Die Geldbörse mit dem englischen Geld. Das Etui für die Kreditkarten und die Bankomatkarte. Das Etui für den Führerschein und die Autopapiere. Das Etui für die Visitenkarten. Das Necessaire mit Lippenstift und Puderdose. Das Necessaire mit den Augentropfen und der kleinen Tube Handcreme. Gegen die trockenen Hände. Der Terminkalender. Das Adressbuch. Das handy. Eine kleine Packung feuchte Tempos. Brillenetui. Kaugummi. Sie holte die Parkkarte aus dem Seitenfach und steckte die Parkkarte zu den Autopapieren. Sie räumte alles wieder ein. Sie holte die Boardkarte und den Pass heraus. Behielt den Pass in der Hand. Sie stand auf. Verließ die Telefonzelle. Sie wäre nichts schuldig, sagte der Schalterbeamte. Selma ging. Eine Stewardess in einer blauen Uniform kam ihr entgegen. Selma hielt ihr die Tür offen. Die Frau lächelte sie an. Bedankte sich. Selma ging weiter. Sie war durstig. In der Halle. Auf den Bänken gleich nach dem Gang zum Postamt. Drei Frauen. Schwarz gekleidet. Lange schwarze Umhänge. Schwarze Kopftücher. Die Frauen waren alt. Sahen alt aus. Ein junger Mann stand vor ihnen. Ein großer brauner Koffer. Zwischen den Frauen und dem Mann. Ein alter Koffer. Ein gestreiftes Band war unter dem Griff durchgezogen. Hielt den Koffer zusammen. Die Frau in der Mitte hatte den Kopf zurückgelegt. Ihr Kopf hing über den Rücken der Bank gegen die Wand. Die Frau weinte. Tränen liefen über ihre Wangen. Die Frau rechts neben ihr hielt ein weißes Tuch in der Hand. Sie tupfte die Tränen ab. Sie wischte über die Wangen der Frau. Dann saß sie wieder. Sah den jungen Mann an. Die Frau links von
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