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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Ohne jede andere Person. Obwohl es auch gleichgültig war und zumindest war sie in niemandes Besitz. Sie lehnte sich zurück. Ließ den Rucksack los. Ließ die Umklammerung des Rucksacks fahren. Sie lehnte sich in den kühlen Hauch an der Hausmauer. Sie fehlte niemandem. Sie würde niemandem fehlen. Der Sydler vielleicht. Am ehesten der Sydler. Ein Schmerz setzte ein. Die Sydler in der Tür und ihr Blick. Ein Herzschmerz. Ein ziehender Schmerz links. Hoch oben. Der Schmerz zwang sie aufzustehen. Aufzustehen und die Schulter hochzurecken. Hochzuhalten. Dem Schmerz einen Raum. Selma fühlte einen Blick auf sich. Hinter der Scheibe des Lokals. Gleich rechts von ihr. Eine junge Frau schaute heraus. Beobachtete sie. Sah erleichtert drein. Erfreut über Selmas Aufstehen. Ihre Anstalten weiterzugehen. Erleichtert, sie nun nicht vertreiben zu müssen. Selma war gerührt darüber. Dankbar. Und wenn es Faulheit war. Sie war froh, nicht vertrieben zu werden. Sie spürte es feucht hinter dem rechten Ohr. Sie wischte sich mit dem Jackenärmel den Hals ab. Die Kopfwunde hatte wieder zu bluten begonnen. Kopfwunden machten das. Das stand überall zu lesen. Selma ging weiter. Sie sah die junge Frau nicht an. Sie hatte eine Aufwallung, sich bei ihr zu bedanken. Aber dann konnte sie sie nicht mehr sehen. Sie war in das Lokal nach hinten verschwunden und Selma hätte in das Lokal hineingehen müssen. Durch die Tür. Selma ging. Sie musste zu Sebastian. Sie mussten miteinander schlafen. Der Priester und die Rationalistin. Zwischen ihnen. Zwischen ihnen beiden. Sie würden etwas anderes werden. Etwas ganz anderes. Seine Rundungen würden ihre Ecken umhüllen. Ihre Eckigkeit würde sich ihm ins Fleisch bohren und die Entfernung aufheben. Ihre Eckigkeit würde sich ihm ins Fleisch schlagen und ein Maß. Der Fettsüchtige und die Anorektikerin. In der Mitte zwischen ihnen. Die Tränen konnten dann die Tränen bleiben. Die Tränen mussten sich nicht verwandeln. In Fett. Oder in die papierne Trockenheit ihrer Haut. Die Straßen waren schmal. Inseln in der Mitte. Für die Fußgänger. Selma stand am Rand. Sie wusste, dass das mit den Autos anders war. Aber aus welcher Richtung sie nun kamen. Sie wartete. Bis kein Auto weit und breit. Dann ging sie auf die andere Seite. Ein großes Haus. Vor dem überdachten Eingang eine Auffahrt. Büsche am Rand. Alles verwildert. Vertrocknet. Der Asphalt auf der Auffahrt aufgeplatzt und Gras in den Kratern aufgegangen. In der Halle innen Menschen. Sie gingen langsam. Gebeugt. Zwei Frauen kamen aus dem Haus. Zwängten sich durch die Tür heraus. Die eine Frau stützte sich auf einen Rahmen. Die andere ging mit zwei Stöcken. Die Frauen. Die weißen Haare hingen in ungewaschenen Strähnen auf die Schultern. Die Kleidung. Selma fürchtete den Geruch. Die Frauen kamen langsam vorwärts. Aber sie schienen entschlossen. Selma beeilte sich. Sie wollte nicht mit diesen Frauen am Ende der Ausfahrt zusammentreffen. Es war sehr wichtig, an dieser Auffahrt dann schon vorbei zu sein. Die zwei Frauen humpelten die Auffahrt herunter. Sie wichen den großen Schadstellen aus. Gingen links und rechts davon vorbei. Schlossen wieder auf. Stumm. Sie wandten sich nicht aneinander. Jede war auf die Überwindung des Wegs konzentriert. Entschlossen kamen sie nebeneinander der Straße näher. Selma versuchte, schneller zu gehen. Es ließ sich nicht machen. Augenblicke lang wusste sie nicht, aus welcher Richtung sie selber kam. Aus welcher Richtung sie ihre Schritte setzte und wohin. Sie schaute deshalb nach den alten Frauen und dem Ende der Auffahrt. Sie dachte, wenn sie das Ende der Auffahrt fixierte. Ihre Beine würden dann dieser Richtung folgen. Sie ging sich nach. So. Sie hatte den Eindruck, sich selber zu folgen und sich anzutreiben dafür. Von weit hinter sich. Damit sie vor diesen beiden Frauen da war und vorbei. Sie hörte den Gehrahmen der einen schleifen. Die Stöcke der anderen an der Betoneinfassung anschlagen. Sie kam vorbei. Die alten Frauen waren noch viele Meter von der Straße entfernt. Sie schauten nicht auf. Bemerkten Selma nicht. Sie bahnten sich ihren Weg. Waren auf dem Weg. Selma bog gleich um die Ecke. Sie ging die Hecke entlang. Um das Haus ein Streifen Gras und dann die Hecke. Die Hecke war abgestorben. Schwarzbraun dornige Zweige ineinander verstrickt. Nur manche Pflanzen noch am Leben und dort dunkelgrüne kleine Blätter und nicht durch die Hecke durchzusehen. Wie passend für ein Altersheim, dachte Selma.

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