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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Bilder nicht unbeeindruckt ansehen zu können und hatte sich gezwungen dazu. Erzogen hatte sie sich dazu. Den Impuls unterdrückt. Wegzuschrecken. Sich zu identifizieren und flüchten wollen. Es nicht auszuhalten. Warum hatte sie sich das angetan. Härte. Die Verwundungen mit hartem Blick. Unverwandt. Da hatten sie Krieg geschrieben. Und war die Kriegsmetapher richtig. Richtig gewesen. War das nicht wieder eine von diesen Verschiebungen gewesen. Im Straßenverkehr. Das war doch kein Gegeneinander. Da ging es doch nicht um einen Kampf. Niemand ritt in seinem Auto an die nächste Straßenecke und forderte einen anderen zum Zweikampf auf. Es ging doch um einen Wettbewerb. Beim Straßenverkehr ging es doch um Überholen. Um Schneller-Sein. Um Sich-Vordrängen. Als Erster ans Ziel. Vor den anderen. Straßenverkehr, das war doch Sport. Das war Politik, und es ging um am-schnellsten-am-meisten. Das war keine Attacke. Das war ein Wettrennen gewesen. Warum hatte sie das nicht gesehen. Damals. Warum war sie in ihren Zeiten so gefangen gewesen. Hatte nie den Kopf herausgesteckt und darauf gesehen. Sie hätte sich besser verteidigen können, wenn sie nicht so eingetaucht gewesen wäre. In ihre Zeit. Und so sicher darin. So überlegen. Und war das ihre Situation, die das. Oder war das das Alter. Das Lebensalter und Erfahrung. Aber damals. Da hatten sie geschrieben. Da war da gestanden. Unfallopfer. Unfallopfer hatten keine Schuhe an. Schuhe waren das Erste, was Unfallopfern verloren ging. Sie schaute auf ihre Schuhe. Sie war kein Unfallopfer. Sie hatte Schuhe an. Sie ging. Sie arbeitete sich durch einen Nebel aus Müdigkeit. Rund um sie. Es war lebendiger. Die Menschen gingen schneller. Überholten. Wichen aus. Niemand sah sie an. Sie musste in belebten Gegenden bleiben. Sie blieb stehen. 2 Tische und Sessel auf dem Gehsteig. Sie setzte sich. Ein winziger Park gegenüber. Eine Baumreihe. Ein Streifen Gras. Dahinter wieder Straße und Häuser. Sie saß. Sie nahm den Rucksack auf den Schoß. Hielt den Rucksack umfangen. Warum hatte sie das gemacht. Sie sah sich als junge Frau. Sie hatte so klare Entscheidungen treffen können. Sie hatte so genau gewusst, was nicht. Sie hatte so kühle Linien ziehen können. Was zu verachten und was zu verabscheuen. Und alles auch richtig gewesen. Irgendwie. Aber in der Eindeutigkeit. Töricht. Warum hatte sie kein Mitgefühl mit sich gehabt. Für sich. Und dann ja auch keine Schlüsse gezogen. Immer sicher gewesen, eine Ausnahme zu sein. Sie hatte sich sicher gefühlt in ihren Eindeutigkeiten. Wie hatte sie das getan. Warum war das verloren. Sie saß da. Sie hielt ihren Rucksack umfangen. Sie sah in die Bäume hinauf. Riesige Linden. Die Baumkronen ineinander verwoben. Ein dichtes Band Grün vor dem Himmel. Sie saß im Schatten. Die Sonne schräg hinter sich. Die Hauswand hinter ihr. Ein kühler Hauch fiel die Wand herunter. Ihre Füße brannten. Die Schürfwunden. Die Ferse. Die Hände. Die rechte Wange rau und ein singendes Brennen. Ein Jagen im Bauch. Ein Pumpen. Ein sich selber jagendes, treibendes Pumpen. In der Brust. Im Kopf. Sie war froh, den Rucksack in den Armen zu spüren. Sie wusste so, wo die Arme waren. Wo die Brust zu Ende. In der Brust eine Leere. Eine neblige Leere und so groß wie die Welt sein hätte können. Der Rucksack eine Grenze diesem Gefühl. Aber eine Auflösung. Bedrohlich. Sich selber stumm sah sie in die Bäume hinauf. Starb sie jetzt. Trennte sie sich jetzt. Von sich. Voneinander. Und warum ging das nicht leichter. Sie hatte halt irgendwie gelebt. Erleuchtung nicht zu haben gewesen und alles unvollständig. Aber warum hatte sie solche Angst. Solch namenlose Angst, ihr Blick könnte sich von ihr lösen und in diesen Bäumen hängen bleiben und sie eine Masse zusammensinken. Eine blicklose Masse und endgültig hilflos. Sollte sie Hilfe. Sie sollte Hilfe holen. Sich einliefern. Abgeben. Aufgeben. Andere für sich. Das, was sie nie gewollt hatte. Andere für sich. Sie konnte nicht. Sie durfte sich nicht. Unter keinen Umständen durfte sie diesen Helfern in die Hände fallen. Diesen Helfern, die wie alle Süchtigen einen in ihre Sphäre ziehen wollten. Die einen gleichmachen wollten und in dieser Gleichheit ersäufen. Für die alles eine Selbsthilfegruppe. Aber unter ihrer Dominanz. Ein Psychologieseminar und nichts begriffen. Sie musste zu Sebastian. Ihm das erklären. Ihn retten. Ihn für sein Zuhören erhören und dabei sterben und nicht in diesem Sessel. Unerkannt.

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