Entfernung.
Sie saß ganz still und atmete. Der Rosenduft vom Abend. Die Düfte fielen ineinander. Mit jedem Atemzug rückten die schlechten Gerüche weg. Entfernten sich. Vergingen. Mussten vor der Schönheit dieser Gerüche flüchten. Darein vergehen, fiel ihr ein. Darein vergehen. Sie saß da. Die bösen Gerüche gebannt. Erfüllt vom Wohlgeruch. Der Wohlgeruch innen und außen. Sie wäre gerne sauber gewesen. Gewaschen. Frisch. Das trocken reibende Gefühl auf den zerschundenen Händen. Die Füße. Die Haare. Die Kopfhaut. Das getrocknete Blut juckend auf dem Hals. Die Wunden hinter dem Ohr. Die Wunde ein hell klaffender Schnitt. Immer öfter auftauchte. Sich vordrängte. Sich vorzudrängen begann. Der rußige Staub. Sie sog den Duft in sich. Sie wollte nicht weg. Nie mehr. Nicht von hier weg und nicht aus ihrem Zustand. So, wie das jetzt war. Das kannte sie. Das konnte sie. Eine Änderung. Veränderung. Das war drohend. Drohend und unbekannt und sie wusste nicht, ob sie es aushalten würde. Es wieder aushalten könnte. Dieses Elend jetzt. Das hatte sie jetzt schon gelernt. Und sie musste ja nur von duftendem Busch zu duftendem Busch gehen. Von Rosenstrauch zu Rosenstrauch. Und sie musste den Himmel sehen. Das war nicht viel. Das war zu machen. Ein Mann kam die Straße herunter. Er ging langsam. Er sah alt aus. Sehr alt. Er war klein. Dünn. Er ging an einem Stock. Stützte sich aber nicht auf den Stock. Er schwenkte den Stock. Er sah sie. Schon von weitem sah er sie an. Selma hob den Rucksack vom Mäuerchen. Machte sich bereit zum Weitergehen. Der Mann musterte sie. Seine blauen Augen. Sie sah ihn aufmerksam an. Wartete auf seinen Blick, sie weiterzuschicken. Er fragte, was sie da täte. Er fragte interessiert. Als interessiere es ihn. »I breathe this wonderful smell.« antwortete Selma. Und ob er ihr den Namen des Strauchs sagen könne. Der Mann blieb stehen. Sah auf sie hinunter. Was für einen Geruch sie meine. Ob er es denn nicht riechen könne, fragte Selma. Sie war erstaunt. Erst. Plötzlich fürchtete sie, der Wohlgeruch könne eine Einbildung sein. Sie stand auf. Hob die Nase in die Luft. Der Geruch war da. Schwächer. Aber da. Er solle sich setzen, schlug sie vor. Da könne man es am besten riechen. Der Mann sah sie skeptisch an. Er schnupperte. Selma dachte, dass er vielleicht zu alt sei. Dass sein Geruchssinn schon atrophiert wäre. Stechendes Mitleid erfüllte sie. Mit diesem Mann und dass es den Vorgang gab. Dass ein Sinn absterben konnte und dass man dann wahrnehmungslos durch die Welt. Sinn los. Dann wieder Angst in einer heißen Welle. Dass sie halluzinierte. Dass sie sich ihre Sinnlichkeiten ausdachte und der Genuss eine Chimäre. Der alte Mann setzte sich. Atmete. Er schnüffelte ein bisschen. Dann lächelte er. Das Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus und über den ganzen Körper. Er ließ den Stock zur Seite rutschen und beugte den Kopf zurück. »You are so right.« Sagte er. »You are so totally right.« Und dass er bisher nicht gewusst habe, welche Genüsse er in seiner Straße habe. Er stand auf. Umständlich. Er stützte sich auf den Stock, sich hochzustemmen. Selma wollte ihm unter die Arme greifen. Ihm aufhelfen. Aber sie wusste von ihrem Vater, wie erniedrigend solche Griffe empfunden werden konnten. Sie trat einen Schritt zurück. Er habe ihr zu danken, sagte der Mann. Er verbeugte sich leicht. Selma lächelte. Man habe dem Strauch zu danken. Der Mann lachte leise. Er wandte sich weg. Ging weiter. Selma hatte in die Richtung gehen wollen, in der er ging. Sie brach in die andere Richtung auf. Es erschien ihr indiskret, hinter ihm herzugehen. Oder ihn zu überholen. Sie ging. Sie musste sich den Straßennamen merken. Der Rosenstrauch war in Adam & Eve Mews. Der wohlriechende Busch. Die Straße hieß Birchtree Close. Am Ende teilte sich die Straße. Hier die Vorgärten gepflegt. Die Zäune gestrichen. Die Gartentore geschlossen. Beim wohlriechenden Busch. Von den Zäunen nur die Mäuerchen vorhanden. Keine Gartentore. Der Boden getrampelte Erde und manchmal ein paar Blumenstöcke neben der Tür oder unter den Wohnzimmerfenstern. Hier Rasenstücke. Ornamente aus Kies und zu Kegeln und Kugeln geschnittenem Buchsbaum. Inseln aus Bambusstauden. Sorgfältig beschnittene Rosensträucher in runden Beeten mit Grasrand. Die Häuser frisch gestrichen. Fenster und Türen neu lackiert. Alles glänzend und spiegelnd und geputzt. In den Wohnzimmern Designercouchen oder Chintzsofas mit
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