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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Billige Gläser und Becher in allen Farben. Kochgeschirr. Aluminiumtöpfe und Pfannen. Alles staubig. Obst und Gemüse. Die Kisten mit Salat und Karotten und Äpfeln auf den Gehsteig gestellt. Weintrauben. Die Kisten standen auf dem Boden. Die Kisten waren nur aus dem Geschäft herausgeschoben. Das Gemüse welk. Das Obst fleckig. Selma dachte an die Hunde. Wenn die vorbeigingen. Aber es gab nicht so viele Hunde in London. Nicht so viele wie in Wien. Hier. Es war teurer und die Leute waren ärmer. Da gingen sich Hunde nicht aus. Selma trat an eine Auslage. Schaute hinein. Sie wollte die Personen hinter ihr vorbeigehen lassen. Seit sie in diese Straße eingebogen war, war jemand dicht hinter ihr hergegangen. Es waren so wenige Menschen unterwegs. Sie hatte es bemerken müssen. Sie wollte niemanden so knapp hinter sich. In der Auslage Möbel. Alte Möbel. Gebrauchte Möbel übereinander gestapelt. Dunkelbraune Sessel mit moosgrün überzogenen Sitzen. Die Sitzflächen speckige Flecken. Die Sesselbeine abgeschlagen. Zusammengerollte Teppiche waren an die Auslagenscheibe gelehnt. Große rosarote Preiszettel mit an den Teppichen festgemacht. Selma musste an die große Zehe von Leichen denken. Und an die Schildchen, die da wirklich wegstanden. Ein Gartentisch war gegen die rechte Scheibe geschoben. Weißes Blech. Abgeschlagen. Ein Rattansessel war auf den Tisch gestellt. Selma sah die Möbel an. Sie hatte keine Vorstellung wie die Leben aussahen, zu denen diese Möbel gehört hatten. Wie diese Leben aussehen könnten. Sie wusste nichts darüber. In Wien. In Berlin. Sogar in Zagreb. Da hätte sie eine Vorstellung entwickeln können. Wie Tische und Sessel in Zimmern standen. Wie Wohnungen mit welchen Möbeln gefüllt wurden. Wie Menschen sich auf solche Sessel setzten und was sie von dem Tisch aßen. Hier. In diesen kleinen Häuschen. Es schien eine Sitzgarnitur geben zu müssen. Die gab dann Auskunft über den Status der Bewohner. In den ganz schmalen Reihenhäusern. Sie hatte da nur Küchen gesehen. Unten. Die einzige Wohnung in London. Sie war nur im Haus von diesem Mann gewesen. Und das war ewig her. Sie sah die Möbel an. Es stiegen keine Bilder auf. Es stiegen nicht diese Bilder auf. Diese ungenauen Bilder von anderen Leben. Von anderen Schicksalen. Diese Kurzfilme von fremden Leben. Der Rattansessel stand auf dem Gartentisch. Ein kaputter Thron. Sie gehörte nicht dazu. Sie wusste nicht einmal, wo und wie so ein Rattansessel in diesen Häusern hier herumstehen konnte. Das war traurig. Das entfernte sie. Das entfernte sie von allem rund um sie. Es war traurig, wenn man von einer Welt nur die Hotelzimmer kannte. Und in das von letzter Nacht. Der Rattansessel hätte nicht hineingepasst. Die Leute hinter ihr waren nicht weitergegangen. Eine Person tauchte neben ihr auf. Die andere blieb hinten. Selma konnte einen Mann in der Auslagenscheibe hinter sich sehen. Verschwommen. Sie wandte sich zum Gehen. Sie fragte sich, wer solche trostlosen Möbel kaufen mochte. Aber die Antwort war einfach. Irgendjemand war arm genug, sich mit ärmlichen Möbeln. Sich mit ärmlichen Dingen zufrieden geben zu müssen. So einfach war das. Der junge Mann neben ihr. Der neben ihr in die Auslage gesehen hatte. Er wandte sich ebenfalls zum Gehen. Selma ging schneller. Der Mann ging schneller. Sie blieb wieder stehen. Schaute in das Fenster eines Kiosks. Zigaretten. Zigarren. Wasser. Zeitungen. Barbiepuppennachahmungen in durchsichtigen Schachteln. Barbie aus Afrika. Barbie aus Asien. In den entsprechenden Trachten. Feuerzeuge. Pistolen als Feuerzeuge. Glasperlenketten. Plastikmaschinengewehre zum Abschießen von Plastikkugeln oder Wasser. Der Mann schaute neben ihr in das Fenster des Kiosks. Selma drehte sich um. Der andere Mann. Der andere Jugendliche. Die beiden sehr jung. Fünfzehn. Siebzehn. Oder noch jünger. Der neben ihr trug zerrissene Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit einem großen Totenkopf auf der Brust. Der andere war ganz in Weiß. Weiße Hose. Weißes T-Shirt. Weißer Gürtel. Die Sonnenbrille, die er auf den Kopf hinaufgeschoben trug, hatte einen weißen Rahmen. Er machte Fotos von ihnen. Er hielt sein handy hoch und fotografierte Selma und seinen Freund. Selma sah den jungen Mann neben sich an. Der drehte den Kopf wie sie. Er hielt sich gebeugt. Selma drehte sich weg. Der Mann drehte sich weg. Wie sie. Ein Mann war aus dem Gemüsegeschäft gekommen. Eine Frau stellte sich neben ihn zwischen die Gemüsekisten am Boden. Beide

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