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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Badezimmertür. In dem winzigen Badezimmer würde genügend Dampf entstehen. Wenn das etwas half, dann würde es so gehen müssen. Wahrscheinlich reisten die geschickten Russinnen mit den entsprechenden Kleiderbügeln. Aber die hatten das gerade erst gelernt. Die hatten das neu gelernt. Da war das interessant. Das mit der Mode. Und mit dem Aussehen. Teuer Aussehen. Keine Komsomolzin mehr. Eine teure Frau. Eine Frau mit einem teuren Körper. Eine Frau, die ihren Preis mit ihrem Körper angab. Angeben musste. Die keinen anderen Stolz hatten, als besser als ihre Mütter in den Hotelhallen des Ostblocks ihre Körper feilzubieten. Und das war die Konkurrenz. Alle diese Ostfrauen. Die das ernst nahmen. Mit dem Frau-Sein. Die sich bei H&M vordrängten und dann triumphierend auf einen heruntersahen. Die nicht einmal im Traum daran dachten, sich dafür zu interessieren, wie es so zuging. Dass es eine Qualität sein konnte, sich einzureihen. Sich in so eine Schlange einzureihen und dranzukommen, wann es einem zustand. Denen ging es nur um siegen. Um an der Spitze sein. Um Triumph. Aber was sollte man schon erwarten, von Leuten, die an Frauenzeitschriften und MTV sozialisiert waren. Bei denen Prostitution eine Währung gewesen war. Eine Möglichkeit, ein besseres Leben zu führen. »In Budapest. Für eine Strumpfhose. Da machen die da alles.« Sie drehte die Dusche auf. Das Wasser kalt. Sie drehte die Armatur nach links. Heißer. Sie brauchte heißes Wasser. Sie hielt die Hand unter das Wasser. Drehte die Armatur immer weiter. Bis sie anstieß. Das Wasser laut prasselnd auf den Boden der Duschkabine. Sie zog sich aus. Zog das Pyjamaoberteil über den Kopf hinauf. Sie kreuzte die Arme und zog das Oberteil in die Höhe. Anstrengend. Sie stand vor dem Spiegel. Sie zog sich vor dem Spiegel aus. Das Pyjamaoberteil eng. Über den Rücken heraufgezerrt werden musste. Sie hatte das Vorderteil um den Kopf, während sie den Stoff noch den Rücken hinaufzog. Alle Luft war schon in Lungen von anderen gewesen. Jedes Teilchen Luft war in der Lunge von irgendeiner Person. Durchgestreift. War in die Luftröhre gesogen worden. War in die kleinen fadenfeinen Äderchen gepresst worden. Hatte sich die Gefäßränder entlang mit dem Blut vermischt. Mit dem Blut vermählt. Die Luft, die sie gerade atmete. Die war in vielen Lungen gewesen. In allen Lungen. Die Vorstellung. Leberfarbenes ledriges Lungengewebe. Feuchtglitschig fest. Sie zog den Pyjama über den Kopf hinauf. Warf das Kleidungsstück durch die Tür auf den Sessel hinaus. Zog die Hose hinunter. Stieg aus der Hose. Warf sie dem Oberteil nach. Vorsichtig. Die Kleidung sollte nicht an dem Boden ankommen. Sie stieg in die Duschkabine. Stellte sich unter die Dusche. Ließ die Schiebetüren der Duschkabine offen. Das Wasser nicht heiß. Nicht heiß genug. Aber es war gleichgültig. Sie hätte die Tür zumachen müssen. Wenn sie genügend Dampf in diesem Raum zusammenbekommen wollte, dann hätte sie die Tür schließen müssen. Und wieder aus der Dusche. Und diesen Raum abschließen. Alles zu eng. Sie stand unter dem Wasser. Ließ das Wasser über die Schultern rinnen. Atmete tief. Die feuchte Luft. Sie stieg aus der Duschkabine. Sie hielt sich fest. Sie hielt sich an den Seitenwänden der Duschkabine fest. Musste sich festhalten. Sie war taumelig. Haltlos. Innen haltlos. Innen zu wenig Kraft, sie aufrecht zu halten. Und sie wollte nicht ausrutschen. Keine Verletzungen. Jetzt nur keine Verletzungen. Um Himmels willen keine dieser Verletzungen, die die Krisen vollendeten und einen endgültig. Und allen zu sehen. Verbände. Armschlingen. Gipsbeine. Und man endgültig ausgesetzt vor aller Augen hinkend. Hängend. Beschädigt. Und jeder Blick die Beschädigung nachzeichnen konnte. Mitleidig. »Was ist denn Ihnen passiert.« Und sich alle anhörten. Wie man beim Duschen ausgerutscht. Und dass das jedem drohte. Ausrutschen und in die Glaswand. Sie hatte von einem Toten gehört. Ein Mann, der in die Tür der Duschkabine gestürzt sich die Halsschlagader zerschnitten und verblutet war. Und sie wollte nicht so eine Geschichte. Sie wollte den anderen nicht mit so einer Geschichte in Erinnerung bleiben. Sie wollte keine exotische Erinnerung. Die Dramaturgin, die sich in London in der Duschkabine erschlagen hatte. Die wie ein Schwein in einer Duschkabine in London verblutet war. Sie sah das vor sich. Der Hals seitlich klaffend. Das Blut weit hinaufgespritzt. Direkt vom Herzen kommend. Hellrot. Der Strahl

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