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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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glatten Jacke. Sie bürstete ihre Haare. Strich die Haare mit der Bürste vom Gesicht zurück. Das Licht über ihr Gesicht hin. Das Gesicht im hellen Licht faltenlos starr. Verwundet. Sie konnte sehen, dass sie verwundet aussah. Verwundet. Gekränkt fragend. Die Starre. Die Glätte. Die Haut dünn gespannt. Ihr Unglück jederzeit aus ihr herausquellen. Herauszuquellen drohte. Die Beherrschung verlieren und das Unglück nicht in sich behalten und in einem Strahl aus ihr herausquellen. Das Unglück in einem großen Strom grau schaumiger Masse und sie sich so auflösen. Aus ihrem Mund herausquellen und in einer großen Stülpung sich in Unglück aufgelöst durch den Ausguss weggeronnen von niemandem mehr gefunden werden konnte. Tränen in den Augenwinkeln standen. Im vor dem Spiegel zurückgelegten Gesicht. Der Vorgang. Die Vorstellung des Vorgangs eines solchen langen Erbrechens von sich selbst. Die Tränen über das Verschwinden aufstiegen. Über das Verrinnen durch das kleine Gitter in den Kacheln am Boden. Unter der Waschmuschel. In den Abfluss davon. Und niemand mehr etwas von ihr gehört. Und niemand je mehr etwas von ihr gehört. Und warum brach sie nicht dorthin auf. Warum konnte sie nur weiterfunktionieren. Warum gelang ihr nicht einmal jetzt ein Ausbruch. Warum unternahm sie nichts, davonzukommen. Irgendwie. Warum ging sie nicht hin und ließ ihre Wut alles machen. Warum blieb sie in sich gefesselt. Warum ging sie nicht hin und erschoss diese Frau und das Kind und den Anton. Oder nur den Anton. Oder mit dem Auto. Oder mit einem Messer. Sich verkleiden. Sich irgendwie anziehen und sagen, dass sie von der Fürsorge käme. Dass sie die Bezirksfürsorgerin sei und nachschauen komme, ob mit dem Kind alles in Ordnung sei. Oder als Beamtin der Fremdenpolizei. Sie komme nachschauen, ob es sich um eine eheliche Gemeinschaft handle. Zwischen dem Anton und der Ungarin. Sie müsse überprüfen, ob dieser österreichische Betriebswirtschaftler und diese ungarische Hure. Ob die wirklich in aufrechter ehelicher Gemeinschaft lebten. Oder ob es sich nicht doch um eine Scheinehe handle. Eine Scheinehe zur Erschleichung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Die Ungarin würde sie in die Wohnung lassen. Die Ungarin würde sie nicht einmal erkennen. Die kannte sie ja nicht. Und Bilder. Der Anton hatte sicherlich alle Bilder von ihr. Was hatte er mit den Bildern von ihr gemacht. In den Abfall. In den Küchenabfall. Tief hinuntergeschoben. Unter Erdäpfelschalen und Broccolireste. Alte Nudeln und Zigarettenasche. Der Anton hatte wieder zu rauchen begonnen. Mit der Ungarin und dem Stress aus der ganzen Angelegenheit hatte er wieder zu rauchen begonnen. Das hatte er jedenfalls gestanden. Das machte er. Er trug ihr sein Leid vor. In diesen langen Gesprächen. Am handy. So lange sie das alte handy behalten hatte. Er hatte das auf die mailbox gesagt. Alles sei so verwirrend. Er habe sogar zu rauchen angefangen. Wieder zu rauchen angefangen. Der gemeinsame Entzug. Sie waren extra zum Dungl gefahren und hatten begonnen. Mit dem Nicht-Rauchen. Sie hatten das alles gemeinsam gemacht. Das Reden darüber. Wie schön eine Zigarette jetzt wäre. Wie dringend. Wie unersetzlich. Wie unausweichlich. Wie lebensnotwendig. Dass sie morden könnten. Für eine Zigarette. Sie hatten die Aschenbecher gemeinsam. Gemeinsam versenkt. Sie waren in die Au gefahren und hatten die Aschenbecher versenkt. Der Anton den roten aus Muranoglas und sie die Augartenschale. Hinausgeworfen. Beide hatten nicht weit geworfen. Sie hatten die Aschenbecher nur so von sich und waren dann Hand in Hand. Verbündete. Verbündete zu ihrem Besten. Sie waren eine Lebensgemeinschaft gewesen. Und sie hatten es geschafft. Sie hatten bei Mitrio auf der Giudecca sitzen können und hatten nicht geraucht. Sie hatten den Geruch eingesogen. Gierig. Der Wunsch war aufgestiegen. Immer war der Wunsch nach einer Zigarette aufgestiegen. Bei ihr war er nie verschwunden. Dieser Wunsch. Aber sie hatten einander angesehen. Sie hatten einander zugelächelt. Sie hatten über die anderen gelächelt. Über die, die immer noch rauchen mussten. Der Sieg über das Rauchen. Sie waren so nebeneinander gewesen. In diesem Sieg. Sie hatten so viel gewusst. Über einander. Und er hatte das alles aufgegeben. Alles und auch das. Sie beugte sich über die Waschmuschel. Sie musste diese Gedanken aufgeben. Sie musste sich zwingen, nicht mehr an ihn zu denken. Nicht an ihn. Nicht an ihre Geschichte. Sie musste ein

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