Entfernung.
weit hinauf. Sich nicht verströmt. Sich verspritzt. Versprüht. Sich am Ende. Das Blut ein großer Erguss. Sie trocknete sich ab. Langsam. Genau. Sie schaute sich im Spiegel zu. Sie hatte abgenommen. Immerhin hatte sich dieser Krisenstau auf die Figur gut ausgewirkt. Der Busen war weniger fest. Aber es war ja nicht wahrscheinlich, dass der Gilchrist sich plötzlich doch für eine Frau entscheiden würde. Und das Wieder-vollkommen-dünn-Sein. Wieder eine Taille. Nicht dieses Verschwimmen der Figur in einem Überzug von zu guter Ernährung. Sie war eckig. Wieder. Beweglich. Nicht so gedämpft. Durch das gute Leben gedämpft. Durch das gute Leben in so eine Besserwisserei gedämpft. Man setzte sich in ein teures Lokal und aß Asian Fusion. Und mit dem richtigen Wein zum hervorragenden Essen wusste man so viel. Da wusste man dann gleich auch alles. In diesen Vierergruppen. Am besten in Venedig. In einem der ganz kleinen Restaurants. Auf der Giudecca. In einem dieser Geheimtipps. Da konnte man sitzen. Zu viert. Fegato alla veneziana und ein Brunello. Und ganze Kulturkonzepte sprudelten sich selber hervor. Mit dem hervorragenden Essen kam dieses Wissen. Was gut war. Für die. Was die sehen sollten. Da saßen dann die Kuratoren und die Dramaturgen. Da saßen ab jetzt ihre Nachfolgerinnen mit den Leuten von der Biennale. Die würden mit ihr nicht mehr reden. Keine Synergie. Das war nur eine Freundschaft der Spesenkonten. Da verständigten sich nur die Spesenkonten miteinander. Ein bisschen Jugend und die Spesenkonten. »Da habe ich eine wirklich interessante junge Frau aus Serbien. Die macht ganz tolle Sachen. Die sollte es einmal mit dem Theater probieren.« Und schon war die interessante junge Frau aus Serbien engagiert. Mit einem Schluck Brunello. Da ließ sich die Kultur. Sie zog sich an. Sie war nicht ein bisschen braun. Sie war in diesem Sommer nicht ein einziges Mal in die Sonne gekommen. Schatten. Immer nur Schatten. Sie stand. Schwarzer Slip und schwarzer BH. Es hätte auch ein Bikini sein können. Sie wünschte sich auf ihren Liegestuhl. Auf den Balkon. In die Baumkrone um den Balkon. Sie zog das schwarze Top über den Kopf. Auf dem Balkon war sie immer angezogen. Auf dem Balkon musste sie immer angezogen sein. Die Fenster vom Zimmer vom Vater. Das Schlafzimmer der Eltern ein Fenster und die Tür auf den Balkon. Ganz hinten. In der Ecke. Und sie den Liegestuhl immer vor ihrem Zimmer. Vor der Tür mit dem Glasfenster. Der Vater sie gar nicht hätte sehen können. Aber es ihr noch nie eingefallen war, vor ihrem Vater im Badeanzug. Im Bikini schon gar nicht. Schon der Morgenmantel Unbehagen. Es sie unbehaglich machte, ihm im Morgenmantel auf dem Gang. Und sie ja nur ein Hotelzimmer brauchte. Sie brauchte keine Wohnung. Sie musste sich nur ein Studioapartment suchen. Wenn der Anton das Geld herausgerückt hatte, dann musste sie sofort so ein kleines Apartment. Keine Wohnung. So wie hier. Ein bisschen größer. Aber nur einen größeren Kasten. Sie brauchte sonst nichts. Sie wollte keine Bücher. Sie wollte keine Bilder. Sie brauchte keine Küche. Tee. Das reichte. So wie hier. Der kleine Mister Coffee, mit dem man auch Tee kochen konnte. Sie wollte in ihrem Leben ohnehin nie wieder etwas essen. Warum hatte sie mit dem Gilchrist ein Abendessen verabredet. Sie musste etwas bestellen. Irgendetwas. Und sie brachte doch ohnehin nichts hinunter. Sie cremte ihr Gesicht ein. Nivea. Q 10. Etwas gegen das Altern der Haut. Weil so eine Haut nicht begriff, dass man in eine tiefe Jugend zurückgefallen war. Dass man in eine neue Pubertät geworfen worden war. Dass alles wieder so chaotisch wie damals. Nur dass es keine Liebesgeschichten waren. Dass nicht der Sexualtrieb gefragt war. Sondern dass der Erhaltungstrieb in Gang gesetzt werden musste. Der Erhaltungstrieb, der bei fegato alla veneziana und beim Brunello. Der von der fegato alla veneziana und dem Brunello stumpf gemacht worden war. Und damit war sie also doch wieder beim Vater zurück. Dass sie nichts beurteilen könnte, weil sie keine schlechten Zeiten gekannt habe. Dass sie nichts wüsste, weil sie nie gehungert habe. Und dass sie nie Angst haben hätte müssen. Dass ihre Generation. Und er hatte Recht. Er hatte Recht gehabt. Sie hatte nicht einmal eine Perspektive von dem gehabt, was sie jetzt. Und sie hätte gerne etwas Frisches angezogen. Einen frisch gebügelten Hosenanzug. Aus der Reinigung. Einen Augenblick lang perfekt dastehen in den gebügelten Hosen und der
Weitere Kostenlose Bücher