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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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schließlich eine reiche Frau geworden. Mit ihrer Beinprothese. Jedenfalls hatte der Toni immer auf das Eckzimmer im Hotel Westbahn hinaufgedeutet. Wenn sie beim Westbahnhof um die Ecke gefahren waren. In die Westbahnstraße. Dann hatte er von der hatscherten Antschi gesprochen. Und dass es ein Publikum für alles gäbe. Und dass sie das mit ihrer Hochkulturscheiße immer übersähe. Dass es perverse Bedürfnisse gäbe. Und dass sie ja doch ein süßes kleines Spießerherzchen in ihrer Brust schlagen habe. Das hatte er dann nicht mehr gesagt. Das war nur am Anfang gewesen. Und sie hatte die perversen Bedürfnisse studiert. Hatte sich denen gewidmet. Sie hatte ihrem süßen kleinen Spießerherzen die Spießigkeit ausgetrieben. Hatte dem Anton bewiesen, dass sie die Perversion in die Hochkultur einschmelzen hatte können. Sie hatte Bataille alles erfüllt. Und zur Belohnung erfüllte der Anton sich dann alle spießigen Familienwünsche. Und die hatscherte Antschi längst tot. Erwürgt. Das Eckzimmer im Hotel Westbahn renoviert. Der Doppelspiegel an der Rezeption abgehängt. Der Westbahnhof am Ende. Der Westbahnhof würde in ein shopping center verwandelt werden. Sie konnte dorthin gehen. Sie konnte dann dorthin gehen. Die shopping centers ihre Museen werden würden. Für Arbeitslose war jeder Supermarkt ein Museum. Eine Ausstellung des unerreichbar Vergangenen. Und sie hatte mitgeholfen. Sie hatte der Gewalt eine Bresche geschlagen. Sie hatte die Perversionen sanktioniert. Das Sarah-Kane-Projekt ein rührender Versuch, die Sache herumzureißen. Sie hatte einen mainstream gefördert, der sie nun abstoßen musste. Sie war eine Mittäterin gewesen. Sie hatte Genuss daran gehabt, das Publikum mit sich selbst zu konfrontieren. Denen nur sie selber vorzuführen. Denen ihre eigenen Tiefen auf die Bühne zu werfen. Den ganzen Schmutz zu heben. Sie mit sich selber zu bestrafen. Sie hatte daran mitgetan, dass die nun die geworden waren, die sie immer gewesen waren. Und sie war zufrieden gewesen. Wenn jemand sich aufgeregt hatte. Am Anfang. Am Ende der 80er. Wenn es noch ein Aufbegehren der Spießer gegeben hatte. Jetzt saßen die Spießer brav im Publikum und akzeptierten alles. Sie bekamen ja auch alles. Die Spießer hatten begriffen, dass die Kultur um ihre Affektbefriedigung bemüht war. Weil sie es dem Anton Recht machen hatte wollen. Weil sie die Affekte vom Anton erobern hatte wollen. Am Anfang. Jedenfalls. Es bekam jeder seinen sadistischen Porno geliefert. Die Spießer hatten es längst begriffen. Wenn sie stillhielten und brav sitzen blieben, dann wurde ihnen der Spiegel vorgehalten. Der Doppelspiegel. Vorne Kultur und hinten Porno. Snuff und Slash. Dann mussten sie nur die Beine so auseinander. In den Theatersitzen. Damit die Erektionen wirklich lustvoll. Und dann doch ein Fick. Nach dem Theater. Die Gefickten bekamen vorgeführt, wie sie gefickt wurden und konnten dann selber ficken. Und wenn sie nun reformiert war. Weil sie eine Krise hatte. Und eigentlich hatte sie mehrere Krisen. Eigentlich hatte sie alle Krisen. Alle Krisen auf einmal. Sie war in einem Krisengemenge eingemauert. Und weil sie diese Krisen hatte, deswegen verstand sie es jetzt. Aber es war zu spät. Sie würde das Rad nicht zurückdrehen können. Sie würde niemanden finden, der sich mit den Gründen auseinander setzen wollte. Und wie die in die Sprache kamen. Und wo sie dann steckten. Die wollten das alles sehen. Die wollten das alles nur sehen. Gezeigt bekommen wollten die es. Vorgeführt. Aber in aller Deutlichkeit. In der Unmissverständlichkeit von Pornografie. Von pornografischem Realismus. Immer intensiver würde das werden müssen. Die Fusion von Nachtclub und Theater längst endgültig. Sie stand auf. Stand. Vorsichtig. Horchte. Ob ein Schmerz. Ein Widerstand. Sie war schwach. Nicht müde, schwach. Langsam. Sie konnte die Bewegungen beginnen, aber kaum beenden. Die Hand griff und verfehlte. Die Kraft schon für den Anfang aufgebraucht. Sie sollte keine Illusion haben. Sie sollte sich keine Illusionen machen. Es war alles aus. Für sie war alles aus. Was sie jetzt machte. Was sie machen wollte. Das war ein reines Rückzugsgefecht. Es würde nichts gelingen. Es konnte nichts mehr gelingen. Sie hatte es zu gut gemacht. Sie hatte alles zu gut gemacht. Sie konnte es nicht mehr gut machen. Und nichts würde gut werden. Sie holte frische Unterwäsche aus der Lade. Ging ins Badezimmer. Schritt für Schritt. Sie hängte die Jacke an die Schnalle der

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